Fish Tank Niederlande, Grossbritannien 2009 – 124min.

Filmkritik

Er oder ich oder sie

Filmkritik: Eduard Ulrich

2006 gewann Andrea Arnold mit ihrem Erstling "Red Road" in Cannes den Preis der Jury, und ihr Nachfolger hat das selbe Potenzial. Mit wenig, aber exzellentem Personal und einer enormen Wucht ist sie dem Kulminationspunkt im familiären Abnabelungsprozess eines Unterschichtmädchens auf den Fersen.

Aus der Schule ist sie längst geflogen, ihre Mutter ist mit ihrem Erziehungslatein ebenfalls längst am Ende, mit ihrer einzigen Freundin hat sie es sich gerade ernsthaft verscherzt, und dieser Frust muss jetzt erstmal raus. Wer ihr nun in die Quere kommt, hat nichts zu lachen. Der fulminante, temporeiche Start zeigt eine hochpubertäre Mia (Debut der umwerfenden Laiendarstellerin Katie Jarvis), die sich wie ein Mitglied einer Bubenbande benimmt und alle vor den Kopf stößt - Kopfstoß inklusive.

Andrea Arnold, die auch das Drehbuch verfasste, wählt damit den schwierigsten Weg, indem sie ihre Hauptfigur derart unsympathisch vorstellt. Parallel zum Kampf Mias um Anerkennung und Zuneigung buhlt nun auch die Figur um die Empathie des Publikums. Das gelingt, weil die Täterin schon eine Volte später zum Opfer werden kann. Jede Szene steht unter Hochspannung, die latente Gewaltbereitschaft auf allen Seiten, nur eine Handbreit vom sexuellen Übergriff entfernt, erfasst das Publikum, zerrt es ins Geschehen.

Von einer zerrütteten Familie zu sprechen, wär ein Euphemismus: Da prallen eine Mutter auf der verzweifelten Suche nach einem Freund und eine Tochter aufeinander, für die diese Mutter höchstens ein negatives Vorbild sein kann. Deren Leben ist das letzte, was sie will. Nur den guten Sex, den die Mutter seit kurzem mit ihrem neuen, attraktiven Freund (Michael Fassbender) genießt, den will sie endlich auch - vielleicht sogar den Freund. Der hormonelle Überdruck entlädt sich je nach Situation in schlagfertigen Antworten oder provozierenden Aktionen, wenn nicht der Alkohol oder die Musik, meist beide zusammen, ihre dämpfende Wirkung entfalten.

Hier ist die Musik nicht Ausdruck der Stimmung, sie ist diese Stimmung selbst, sie schafft die Stimmung, sie ist neben dem Alkohol der Treibstoff und der Triebstoff. Die trostlosen Wohnblöcke der Provinz haben keine originäre Atmosphäre. In der schnörkellos erzählten, kompakt gebauten Geschichte überrascht das Unvorhersehbare im Vorhersehbaren. Die fiebrigen Bilder messen die emotionale Temperatur. Die Konsequenz und Härte erinnern an "Butterfly Kiss", das authentische soziale Milieu an Ken Loach und die Ökonomie der Mittel an Meisterschaft.

17.02.2024

5

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Kommentare

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dulik

vor 4 Jahren

Ein packendes Drama über die 15-jährige "Mia", die unter schwierigen Verhältnissen aufwächst, von der Schule fliegt und einzig im Tanzen noch einen Sinn sieht. Als ihre Mutter dann mit ihrem neuen Freund "Conor" (Michael Fassbender) nach Hause kommt, sieht der Teenager eine Vaterfigur in ihm, die in ihrem Leben bisher gefehlt hatte. Doch hinter diesen Gefühlen scheint dann doch etwas mehr zu stecken. "Fish Tank" ist ein einfacher, aber sehr authentischer Film, der aufzeigt, wie wichtig es für den späteren Verlauf des Lebens ist, unter guten Bedingungen aufzuwachsen.
8/10Mehr anzeigen


bullettooth

vor 14 Jahren

+ authentisch dank Laiendarstellerin.
+ spannende Erwartungsszenen, die dann anders ausfallen als erwartet

- Kamera löst zu Beginn etwas Seekrankheit aus, ruckelig, nervös..
- Leider erfährt man kaum was über die Mutter, weswegen sie bis zuletzt einen Hexenstatus beibehält.

Fazit: Sehenswert!Mehr anzeigen


Klaus1108

vor 14 Jahren

Ein spannendes Sozialdrama mit einer beeindruckenden Hauptdarstellerin. Hinter ihrer rauen Schale verbirgt sich ein sensibles und aufmerksames Innenleben.


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