Jagdhunde Deutschland 2007 – 86min.

Filmkritik

Familienfragmente

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Der 16jährige Lars hat mit seinem Vater Henrik einen alten Bauernhof in der Uckermark bezogen, der zur Hochzeitsscheune ausgebaut werden soll. Doch Romantik ist das letzte, das sich hier einstellt: Die winterliche Landschaft ist ebenso vereist wie die Dorfbewohner.

Wurzeln lassen sich hier nicht schlagen, dennoch versucht Lars beharrlich, Kontakt zu den neuen Nachbarn aufzunehmen und einen Platz in der Dorfgemeinschaft zu erringen. Zur umfangreich angekündigten Party kommt aber dann niemand. Natürlich nicht. Und natürlich steht Weihnachten vor der Tür, das Fest der Familie. Doch die Familie bietet gerade so gar keinen Halt für Lars: Der Vater ist auf einmal mit der Schwester der Mutter liiert, die Mutter steht dann wiederum pünktlich zum Fest samt jugendlichem Galan auf der Matte, der wiederum gibt dann quälend lang das filmische Leitmotiv, Schuberts Winterreise, zum Besten.

Das festliche Miteinander der bizarren Patchworkfamilie strotzt vor erstarrten Gefühlen und Sprachlosigkeit. Gut, dass Lars mittlerweile in der zarten Freundschaft mit der gehörlosen Marie einen Zufluchtsort gefunden hat, auch wenn das Maries Vater, dem Dorfwirt, alles andere als geheuer ist. Gemeinsam entkommen die beiden Jugendlichen der Erstarrung ihrer Umgebung. Dieser Gegensatz findet seine Entsprechung auch in der visuellen Umsetzung: Betont die Bildgestaltung sonst eher das Statische und komponiert - entsprechend der inneren Leere und kommunikativen Verkrustung im Inneren der Figuren - sanft ästhetisierend Stillleben und melancholische Nachtansichten, fragmentiert die plötzlich beweglich gewordene Kamera das Geschehen, wenn Lars und Marie miteinander sind.

Taumelnd fügen sich dann Bildversatzstücke zu einer Abfolge räumlich kaum mehr nachvollziehbarer Eindrücke. Schön. Überhaupt findet die Berliner HFF-Studentin Ann-Kristin Reyels bereits in ihrem Leinwanderstling zu einer sehr eigenen und ausdrucksstarken Bildsprache neben dem mit dokumentarischen Mitteln spielenden Regiekonzept, das in vielen Teilen der "Berliner Schule" durchaus verwandt ist. Fast beiläufig inszeniert, gebrochen von poetisch überhöhten Bildern, bleibt "Jagdhunde" bei allem Hang zu Natur- und Tiermetaphern immer nah bei den Figuren und ist oft erfrischend humorvoll.

Wie subtil und sensibel hier verschiedene Familienmodelle ausgelotet werden, wie innig und doch diskret die aufkeimende Liebe zwischen Lars und Marie gezeigt wird, erstaunt bei einem Debütfilm. Hier verdankt die Regisseurin wohl auch Einiges einem bis in die Nebenrollen hinein sehr starken Ensemble: als kathartischer Filter wirkt in der Hauptrolle der "Falsche Bekenner" Constantin von Jascheroff mit Filmvater Josef Hader als wortkarg-vitalem Gegenpol, der dem Film die nötige Erdung verleiht. Aber auch Ulrike Krumbiegel und Judith Engel im schwesterlichen Rollenkampf um Mann, Kind und Lebenskonzept meistern den Spagat zwischen unterdrückter Trauer und Wut und aktionistischem Frohsinn mit großer Intensität.

Auf der Berlinale wurde diese Zusammenarbeit mit dem "Kleinen Fernsehspiel" des ZDF zu recht mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet - nun hat sich die abgründige Winterreise in die Untiefen familiärer Kommunikationsstrukturen nach ausgedehnter Festivaltour auch hierzulande die große Leinwand vollauf verdient.

24.02.2021

4

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Kommentare

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pradatsch

vor 16 Jahren

Romeo und Julia - nur brauchen sich die "Familien" heutzutage gar nicht mehr gegenseitig zu befehden, die aufbrechenden Konflikte sind alle schon intern angelegt. Toll der Einbezug der Landschaft: "Sehnsucht" gefroren, sozusagen.


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