Angel - Ein Leben wie im Traum Belgien, Frankreich, Grossbritannien 2007 – 134min.

Filmkritik

Rosa Paradies und bittere Realität

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Mit seinem ersten englischsprachigen Film schwebte François Ozon ("Sous le sable", "Swimming Pool") ein klassisches Melodram vor. Als solches rührt es aber kaum zu Tränen - dazu ist die Hauptfigur zu unsympathisch.

Ein Roman der englischen Autorin Elizabeth Taylor über Aufstieg und Fall einer jungen Frau regte Ozon zu seinem Melodram an: Angel ist die verwöhnte Tochter einer Kramladenbesitzerin und fühlt sich schon als Kind zur Star-Autorin geboren. Die abfälligen Bemerkungen der Lehrerin über ihren Schreibstil kümmern sie nicht. Tatsächlich erkennt ein Verleger die Bedürfnisse der Zeit nach schwülstigen Liebesromanen. Innert kürzester Zeit wird Angel zur hochgejubelten Autorin, und mit ihrer Karriere geht es rasant aufwärts. Nachdem sie auch noch das luxuriöse Anwesen "Paradise" bezogen hat, fehlt ihr nur noch die grosse Liebe. Diese findet sie im Kunstmaler Esmé: Gegensätzlicher könnten die beiden aber nicht sein. Während sie sich mit Kitsch umgibt und alles Negative ausklammert, zeigen Esmés Bilder triste Friedhöfe und Arbeiterviertel.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, zieht sich Angel vollkommen in ihr Paradies zurück. Trotzdem bekommt sie die veränderte Stimmung zu spüren: Plötzlich interessieren ihre lebensfremden Bücher nicht mehr. Und Esmé kehrt traumatisiert und mit amputiertem Bein aus dem Krieg zurück. Bis anhin glaubte Angel, ihr Leben wie einen ihrer Romane gestalten zu können. Nun aber entgleiten ihr die Fäden, und langsam beginnt der Zuckerguss zu bröckeln.

Ein derart zuckersüsses Melodram hätte man kaum erwartet von François Ozon, der die menschliche Seele so differenziert zu ergründen weiss. Einmal mehr beweist der Regisseur aber mit diesem Film, dass er sich nicht in eine Genre-Schublade zwängen lässt. Sein Film besticht vor allem durch grandiose Aufnahmen und prunkvollen Dekor. Dabei geizt er nicht mit kitschigen Szenen, wie man sie aus Melodramen der 50er-Jahre kennt: ein Regenbogen über einer dramatischen Liebesszene etwa, oder das frisch vermählte Paar bei einer Gondelfahrt in Venedig und einem Eselsritt in Griechenland. Obendrein erinnern filmische Mittel wie die Rückprojektion bei exotischen Schauplätzen an die Blütezeit des Melodramas.

Die überzeichneten Szenen mag man als Ironie auslegen. Doch anders als Taylor in ihrem Roman, wollte Ozon auf den sarkastischen Tonfall verzichten. Sein Argument: Die Zuschauer können nicht zwei Stunden mit einer unsympathischen Figur zusammen sein. Genau hier aber liegt das Problem des Films. Die Sympathien gelten viel mehr Nebenfiguren wie Esmé, Angels Mutter oder Freundin. Eine Figur wie Angel macht es dem Publikum nicht leicht, mitzufühlen. Man mag zwar ihre Zielstrebigkeit bewundern. Im Grunde aber wirkt Angel vor allem zickig und überheblich, zumal man schnell erkennt, dass sie tatsächlich kein Talent hat. Eine unausstehliche Figur, die ursprünglich geschaffen wurde, um ironisch betrachtet zu werden, lässt sich nicht so einfach in eine liebenswerte verwandeln. Für eine Persiflage aber fehlt es dem Film an Schärfe - und als klassisches Melodram gelingt es ihm nicht, Rührung zu erzeugen.

22.11.2012

3

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Kommentare

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8martin

vor 3 Jahren

Regisseur Francois Ozon ist mit dem Biopic über die Schriftstellerin Marie Corelli, die am laufenden Band Romane veröffentlicht hat, ein Risiko eingegangen. Diese Schriftstellerin hat das Weltbild von Generationen von jungen Frauen um 1900 gestaltet. Blätter wie Die Gartenlaube, die Fortsetzungsromane enthielten, bestimmten so das Frauenbild einer ganzen Epoche. Wenn man da einsteigt, geht es nicht ohne großen Pomp. Und man könnte sich in einem Kostümschinken verlaufen, mit allem, was dazugehört wie z.B. der innige Kuss unterm Regenbogen.
Der Plot konzentriert sich aber auf den Aufstieg der Schriftstellerin (Angel Deverell), die ihren Leserinnen genau das bietet, was sie wünschen. Die wichtigste Begleiterscheinung dabei ist der zunehmende Reichtum der Dichterin bei gleichzeitigem Realitätsverlust. Sie kann ihre übertriebene Egozentrik voll ausleben und dabei in gehobenen, intellektuellen Kreisen negativ auffallen, wenn sie die ungehobelte Proll-Trude gibt. Diesen Kontrast macht ihr Verleger Théo (Sam Neill) und seine elegante Gattin Hermione (Charlotte Rampling) deutlich. Und soweit ist alles noch mit etwas Humor unterlegt.
Als der Maler Esmé (Michael Fassbender) in Angels Leben tritt, setzt er eine tragische Abwärtsspirale in Gang, an deren Ende das vorübergehend überglückliche Paar aus dem Leben scheiden wird. Erster Weltkrieg, Verlust eines Beins und finanzielle Abhängigkeit von der wohlhabenden Ehefrau treiben Esmé aus dem schlossartigen, gemeinsamen Wohnsitz, der den bezeichnenden Namen ‘Paradise‘ trägt.
Emotionsgeladene Szenen lassen keine Langeweile aufkommen: z.B. Kuss/ cut – Ohrfeige/ cut / Spuckattacke. Extreme Liebesbeweise! Neben Fehlgeburt, Alkohol und vielen Tränen.
Als Angel erkennt, dass sie wie in einem Traum gelebt hat (s. Titel!), verliert sie erst symbolisch das Augenlicht, dann den Verstand. Wagnis ist teilweise geglückt.Mehr anzeigen


Gelöschter Nutzer

vor 14 Jahren

Es ist schon ein heftiger Kostümschinken. Dabei sollte es doch um den Aufstieg und Niedergang einer Trivialschriftstellerin (Romola Garai) gehen, die aus bescheidenen Verhältnissen kommt und sich in einen nicht anerkannten Maler quasi als Antipode verliebt, der sie später betrügt. Viele Themen werden angesprochen: die Weltkriegsproblematik: Held oder Pazifist. Macht der Wohlstand satt und träge? Kann man Glück kaufen oder es wenigstens festhalten? Ein außereheliches Kind taucht auf. Krankheit und Selbstmord lassen sich nicht verhindern, ebenso wenig wie Einsamkeit. Alles bleibt letztlich doch an der Oberfläche der monomentalen Ausstattung hängen und hinterlässt einen herben Geschmack. Man pilchert von Event zu Event. Immerhin war ja ganz schön was los in diesem tristen Leben in einem Dornröschen-Schloss, das ’Paradies’ heißt. Vielleicht leben ja Schriftsteller so abgehoben von der Realität, leiden am schuldlos selbstverschuldeten Unglück.Mehr anzeigen


louis

vor 16 Jahren

Wenn man die Filmperson mit derjenigen von Elizabeth Taylor's Romanvorlage vergleicht, wirkt Angel hier sehr menschlich. Im Gegensatz zum Buch zeigt sie sogar menschliche Gefühle wie beispielsweise Trauer über den Tod ihrer Mutter oder Tränen beim Anblick des zum Verkauf stehenden Krämerladens, in dem sie ihre Kindheit verbrachte. Sie ist für mich auf jeden Fall nicht nur arrogant, sondern hat durchaus auch sympathische Charaktereigenschaften und einen gewissen Humor. Und anscheinend war sie am Schluss auch nicht so überzeugt von ihrem "perfekten" Leben, ausser man interpretiert ihr Verhalten als vorgespielt und unecht, doch dann müsste man sich wirklich fragen, wodurch Angel dann überhaupt noch unsere Sympathie erwecken könnte wenn nicht durch Einsicht? Man kann nicht jemanden ablehnen, wenn er sich arrogant verhält, wenn er jedoch Gefühle zeigt, diese als künstlich und unecht bezeichnen.
Auf jeden Fall ein sehr interessanter Film über eine nicht einfache, aber trotzdem teilweise sympathische Person! Hassenswert ist sie auf jeden Fall nicht.Mehr anzeigen


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