CH.FILM

Volevo solo vivere Italien, Schweiz 2006 – 79min.

Filmkritik

Der Weg in die Hölle

Sonja Eismann
Filmkritik: Sonja Eismann

Mit Steven Spielberg als Produzenten im Rücken hat der italienische Regisseur Mimmo Calopresti seinen ersten Dokumentarfilm vorgelegt, der an die Deportation italienischer Juden in die Nazi-Vernichtungslager erinnert. Das Ergebnis ist kaum auszuhalten und gerade deshalb unverzichtbar.

Wie ein Tier habe er sich gefühlt, als er auf einmal nicht mehr zur Schule gehen durfte, erinnert sich der gepflegte ältere Herr in Mimmo Caloprestis Dokumentarfilm "Volevo solo vivere". Er ist einer der neun italienischen Holocaust-Überlebenden, deren Berichte der italienische Regisseur im Archiv von Steven Spielbergs USC Shoah Foundation aus Hunderten Zeitzeugendokumenten ausgewählt hat.

Das Grauen, das der Regisseur dieser von Spielberg selbst produzierten Doku dabei verspürt haben muss, lässt sich anhand seines Werkes auch für die ZuseherInnen ermessen. Vermischt mit privaten Bildern der Überlebenden, Archiv-Footage wie Mussolinis berühmter antisemitischer Rede, mit der der Film auch beginnt, und historischen Aufnahmen aus KZs und Deportationszügen, erzählen die neun Frauen und Männer scheinbar gefasst von ihrem "Alltag" im Konzentrationslager. Dass die ProtagonistInnen dabei allesamt die Distinktion eines gepflegten Bürgertums ausströmen, macht den Kontrast noch unfassbarer.

Calopresti ordnet die Erinnerungen so an, dass sie chronologisch mit der Deportation beginnen, um dann langsam zu den Lebensbedingungen im Lager vorzudringen. So wird der quälende Weg in die Hölle, wie er sich für die Betroffenen dargestellt haben muss, analog in seiner ganzen fortschreitenden Schrecklichkeit auch für das Publikum greifbar. Es sind die Berichte über das tägliche "Leben" in Auschwitz, in denen vom stets präsenten, nagenden Hunger erzählt wird, vom fehlenden Toilettenpapier und dem dauernden Durchfall aufgrund der Mangelernährung, von der Demütigung durch stundenlange Appelle und die Entmenschlichung durch die Rasur der Haare bei Männern und Frauen, die sowohl das Kalkül als auch die Banalität des Bösen bis zur Schmerzgrenze sichtbar machen. Als einer für ein "Sonderkommando" in Auschwitz eingeteilten Männer davon berichtet, wie er seinen eigenen Cousin ins Gas schicken und hinterher die im Todeskrampf verkeilten Körper auseinanderbrechen musste, möchte man am liebsten aufhören zu existieren.

Den Verdienst, einen Film gemacht zu haben, vor dem am liebsten alle weglaufen würden, ist Mimmo Calopresti nicht hoch genug anzurechnen. Gerade wenn in Deutschland auf das vermeintliche Recht gepocht wird, endlich wieder unbeschwert die Nationalflagge schwingen zu dürfen und in Italien an der Legende der "italiani brava gente" weitergestrickt wird, sind Dokumente wie "Volevo solo vivere" dringend gebraucht.

17.02.2024

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