Grabavica Österreich, Kroatien, Deutschland 2006 – 90min.

Filmkritik

Kinder des Krieges

Monique Brunner
Filmkritik: Monique Brunner

Das Wort «Grbavica» mag für Westeuropäer ein Zungenbrecher sein, für manche der 20'000 Ex-Jugoslawinnen aber hat sich dieser Stadtteil von Sarajewo unwiderruflich eingebrannt als der Ort, an dem sie während des Bosnienkrieges vergewaltigt wurden - und der sie verstummen liess.

Dieses Schicksal ereilt auch die fiktive Figur der bosnischen Jungfilmerin Jasmila Zbanic. In ihrem Spielfilmdebüt «Grbavica - Esmas Geheimnis» schildert sie unspektakulär, aber präzis den Alltag der allein erziehenden Esma (überzeugend: Mirjana Karanovic), der immer wieder durch Esmas traumatische Erinnerungen subtil durchbrochen wird. Aufdringlicher Körperkontakt, sexuell aufgeheizte Stimmungen oder die Demonstration körperlicher Dominanz lassen Esma immer wieder die Flucht ergreifen oder zwingen sie, Pillen zu schlucken. All diese Ausbrüche weisen untergründig auf Esmas Geheimnis hin, das sie, je näher die Klassenfahrt ihrer 12-jährigen Tochter Sara (Luna Mijovic) heranrückt, immer schwerer verborgen halten kann.

Um die Reise ihrer Tochter bezahlen zu können, hat Esma extra die Stelle als Kellnerin in einem Nachtlokal angenommen. Doch Sara, die im Glauben aufwuchs, ihr Vater sei als Kriegsheld gestorben, drängt auf einen Nachweis für die Schule, da Kinder von Kriegsmärtyrern einen Preisnachlass erhalten. Als Esma trotz Ausflüchten das Papier nicht vorweisen kann und Sara nicht auf der Liste der Märtyrerkinder steht, kommt es zur harten Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter, bei der Esma Sara die bittere Wahrheit ins Gesicht schreit: Sie ist der Bastard eines Tschetniks, das ungewollte und verfluchte Resultat einer der vielen Vergewaltigungen im Gefangenenlager.

Diese Enthüllung der schmerzhaften Erfahrung kommt zuerst wie ein Schock, doch schliesslich weist sie hoffnungsvoll den Weg hin zu einer Versöhnung mit der verhasst-geliebten Tochter und dem grossen Schuldkomplex.

Jasmila Zbanic, die 32-jährige Absolventin der Academy of Dramatic Arts in Sarajewo und Mitglied des Künstlerkollektivs Deblokada, befasste sich bereits in ihren Dokumentarfilmen «Red Rubber Boots» und «Images from the Corner» mit bosnischen Frauenschicksalen. In «Grbavica» rückt sie das Thema der systematischen Vergewaltigung von Frauen in den Gefangenenlagern ins Zentrum. Die undramatisch inszenierte Geschichte soll exemplarisch für all jene Frauen stehen, die seit den schmerzhaften Erfahrungen des Bosnienkrieges mit ihrer unverschuldeten Schuld leben und täglich mit sich ringen, trotz des Hasses und der Abscheu ihre ungewollten Kinder zu lieben.

«Grbavica - Esmas Geheimnis» ist ein feinfühliger Film über das Lieben und Leben von leidgeprüften Familien Jahre nach dem Bosnienkrieg. Die Mikro-Milieustudie leistet dabei eine erste Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, die in Bosnien-Herzegowina lieber totgeschwiegen werden. Dies zeigt sich daran, dass zahlreiche bosnische Kinos sich weigerten, «Grbavica - Esmas Geheimnis» in ihr Programm aufzunehmen.

07.06.2021

4

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Kommentare

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cinemansilvia

vor 17 Jahren

Ein wichtiges Zeitdokument mit ausgezeichneten, ausdruckstarken Darstellerinnen und Darstellern. Allerdings fand ich ihn an einigen Stellen etwas (zu) lang.


jschwyzer

vor 17 Jahren

Wunderbarer, tiefgründiger und bewegender Film. Aus dem wahren Leben dieser Leute gegriffen und nicht moralisierend.


Gelöschter Nutzer

vor 17 Jahren

dass gut gemeint nicht immer das gegenteil von gut ist, zeigt dieser film.
brandaktuell, auch wegen der ausländer- und asylvorlagen vom 24. september?


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