Private Italien 2004 – 94min.

Filmkritik

Klima der Ungewissheit und Angst

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

"Private" ist der erste Langspielfilm des italienischen Regisseurs Saverio Costanzo und wurde 2004 mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. Dem dokumentarisch anmutenden Film liegt eine wahre Begebenheit zugrunde.

Costanzo hat sich auf einen einzigen Schauplatz beschränkt: ein Haus, in dem eine siebenköpfige Palästinenserfamilie wohnt. Zwischen einem palästinensischen Dorf und einem israelischen Militärstützpunkt gelegen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die israelische Armee das Haus besetzt. Eine Flucht kommt für den Vater aber nicht in Frage: Er verlangt von der ganzen Familie, die Stellung zu halten, und sich nicht vertreiben zu lassen.

Eines Nachts ist es so weit: Nach einem grossen Tumult besetzen israelische Soldaten das Haus. Den oberen Stock beanspruchen sie für sich; das Erdgeschoss mit dem Wohnzimmer wird der Familie zugeteilt. Zwar darf die Familie tagsüber das Haus verlassen, um zur Schule oder zur Arbeit zu fahren, aber nachts wird sie ins Wohnzimmer eingeschlossen.

Die verschiedenen Charaktere der Familienmitglieder kommen in ihrer Reaktion auf diese Lage deutlich zum Vorschein: Der Vater beharrt eisern darauf, sich an die Regeln der Soldaten zu halten - seine älteste Tochter Mariam dagegen gibt sich kämpferisch und ist ganz und gar nicht gewillt, sich an die Bedingungen zu halten. Trotz Verbot begibt sie sich wiederholt in den obersten Stock, um einen Blick auf die Soldaten zu erhaschen. Und während einer der Söhne eine Handgranate unter seinem Bett versteckt hält und sich in die Rolle des Selbstmordattentäters träumt, wären Mutter und der jüngere Bruder bereit, das Haus aufzugeben.

Die Geschichte der Familie könnte irgendwo enden; ihre Situation ist eine Art Kreislauf. So schliesst der Film denn auch mit der nächsten Besetzung des Hauses durch eine andere israelische Truppe. Viel eher als auf die Erzählung konzentriert sich "Private" auf den Zustand; das Klima der Angst und der Ungewissheit, in der die Hausbewohner leben.

Dadurch, dass oftmals die Perspektive der Familienmitglieder eingenommen wird, durch den dokumentarischen Anstrich des Films und die Verwendung der Handkamera entsteht das Gefühl, unmittelbar am Geschehen teilzuhaben. Kaum wagt man zu atmen, wenn Mariam aus dem Schrank die Soldaten beobachtet. Und wenn die Familie nachts von den Soldaten aus dem Schlaf gerissen wird, taucht man ein in diese Atmosphäre der Panik und Verwirrung: In der Dunkelheit findet in einer Ecke ein Handgemenge statt; vereinzelt blitzen Gesichter oder Arme auf, und ebenso wenig wie die Familie weiss der Zuschauer, ob jemand gefangen oder verletzt wurde, wer sich wo befindet - und schon gar nicht, was die Soldaten beabsichtigen.

Die Dreharbeiten in Italien zusammen mit israelischen und palästinensischen Schauspielern gestalteten sich manchmal schwierig: Während die Israelis nicht als Sündenböcke abgestempelt werden wollten, empfanden die Palästinenser das Verhalten der Soldaten als zu harmlos dargestellt. Es war jedoch Saverios Anliegen, die beiden Parteien ausgewogen darzustellen und die israelischen Soldaten auch von ihrer menschlichen Seite zu zeigen. So offenbaren sie sich etwa als Hobbyflötenspieler oder Bastler - vor allem aber als Menschen, die sich eigentlich lieber zu Hause befänden.

07.04.2021

4

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