Fatma Tunesien 2002 – 124min.

Filmkritik

Berührende Jungfrauengeschichte aus Tunesien

Filmkritik: Eduard Ulrich

Auch wenn Fatma mit einem Paukenschlag anfängt, das wahre Drama entfaltet sich erst durch seine Folgen, wieeine Zeitbombe, deren Zünder man dauernd ticken hört. Obwohl die Gymnasiastin gegen ihren Willen um ihreJungfräulichkeit gebracht wird, trägt sie diese Last fast allein, in einer Gesellschaft, die nur eine unberührte Braut akzeptiert. Kann die moderne Medizin ihr vielleicht helfen?

Die gescheite, schöne und liebevolle Fatma (Awatef Jendoubi) umsorgt ihren Vater und ihre jüngeren Geschwister nach dem Tod ihrer Mutter, obwohl sie das Gymnasium besucht und eigentlich Zeit zum Lernen bräuchte. Ihr Cousin begehrt sie - als sie ihn zurückweist, wird er zum Verbrecher. Vielleicht weil die Strafen für Vergewaltiger im islamischen Tunesien drakonisch sind, entscheidet sie sich, auf eine Anzeige zu verzichten.

Stattdessen hält sie das traumatische Erlebnis geheim, obwohl sie nun mit einem unsichtbaren Makel leben muss, der ihr möglicherweise den Weg in eine glückliche Ehe versperrt. Denn trotz der sich äußerlich modernisierenden Gesellschaft ist die Macht der traditionellen Wertvorstellungen in Tunesien ungebrochen. Sie wird durch den Einfluss und das Ansehen der älteren Generation und die engen familiären Bindungen aufrecht erhalten, die es der jüngeren Generation schwerer machen, sich den eigenen Vorstellungen gemäß zu verhalten oder solche überhaupt zu entwickeln.

Dem tunesischen Regisseur Khaled Ghorbal darf gratuliert werden. Er hat ein extrem heikles Thema mit hoher Sensibilität, Zurückhaltung und Stilsicherheit gelungen umgesetzt. Dabei verzichtet er weitgehend auf moralisierende Lehrhaftigkeit oder eine Haltung, die es sich leicht macht, indem sie eine etwaige Rückständigkeit kritisiert oder blossstellt. Er zeigt vielmehr eindrucksvoll und natürlich, wie sich das Leben von Fatma entwickelt, wobei er kritische Nahtstellen mit Witz poliert. Diese Qualitäten, gepaart mit der idealen Hauptdarstellerin, machen die Hypothek des Themas mehr als erträglich. Sie erlauben es sogar, Genuss und Gefallen an einer Entwicklung zu finden, welche die Vision einer vernünftigen und verständnisvollen Gesellschaft in greifbare Nähe rückt.

Selbst wenn uns die Regeln der tunesisch-islamischen Gesellschaft teilweise fremd vorkommen mögen: Der Mythos Jungfräulichkeit spukt immer noch in den Köpfen vieler Männer (und Frauen?) herum, und in vielen katholisch geprägten Ländern wurde bis vor wenigen Dekaden ein vergleichbares Theater um voreheliche Beziehungen aufgeführt.

17.03.2003

4

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