Die Zeit der Männer Frankreich, Tunesien 2000 – 124min.

Filmkritik

Jenseits des Tourismus-Paradieses

Filmkritik: Senta van de Weetering

"La Saison des Hommes" erzählt von Frauen, von den Müttern, Grossmüttern und Töchtern der tunesischen Insel Djerba, die das ganze Jahr über auf den einen Monat warten, an dem die in Tunis arbeitenden Männer zurückkehren. Im Zentrum des Films der tunesischen Regisseurin Moufida Tlatli stehen Aïcha (Rabiaa Ben Abdallah) und ihre beiden Töchter, die im Haus und unter der Fuchtel der Schwiegermutter leben.

Moufida Tlatli interessiert sich für das, was hinter der schönen - in unseren Augen exotischen - Fassade der lichtdurchfluteten Mittelmeerinsel hervortritt: Die Hierarchie, die sich hartnäckig hält, an deren Spitze die erwachsenen Männer und deren Mütter stehen. Zwar räumt das Gesetz in Tunesien den Frauen mehr Rechte ein als in anderen arabischen Staaten, doch im Alltag dominiert noch immer die islamische Tradition, die Frauen nur als Mütter von Söhnen respektiert.

Fatale Erfüllung von Wünschen

"Du musst einen Sohn bekommen", rät Aïchas Mutter ihr denn auch, "dann wirst Du selber einmal eine mächtige Schwiegermutter." Aïcha jedoch möchte kein weiteres Kind mehr, sie ist glücklich mit ihren beiden Töchtern und hat kein Interesse daran, an dem System der Männer- und Müttermacht mitzuarbeiten. Gegen ihren Willen wird sie nochmals schwanger und bringt diesmal den von allen Seiten gewünschten, ja geforderten Sohn zur Welt. Als Belohnung erfüllt ihr Mann ihr endlich den Wunsch, den sie bereits zu Beginn der Ehe geäussert hat: Er nimmt sie mit nach Tunis. Doch die Ehe ist längst zerbrochen und die Stadt erweist sich als ungünstiger Ort für den Jungen – denn der ist wohl männlich, aber autistisch; jedes Geräusch der Stadt erschreckt ihn.

Erinnerungsarbeit

Aïcha entschliesst sich deshalb nach einigen Jahren in der Stadt, auf die Insel zurückzukehren. Ihre beiden erwachsenen Töchter (Ghalia Ben Ali und Hend Sabri) und ihre Freundin (Sabbat Bouzouita) begleiten sie in das mittlerweile leere Haus. Bei allen drei Frauen werden Erinnerungen wach, gute und alptraumartige; die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit setzt Veränderungsprozesse in der Gegenwart in Gang.

Djerba dürfte in der Schweiz vor allem aus den Katalogen von Reisebüros bekannt sein. Bei Tlatli hingegen erscheint das Tourismus-Paradies nur in einer einzigen Szene; sie erzählt von den Frauen, die dort leben, denen die Insel mehr wie ein Gefängnis denn als Garten Eden erscheint. Für diese Enge findet sie starke Bilder, wie den in sich selbst gefangenen, autistischen Sohn, oder die Teppiche, die Aïcha gegen den Willen der Schwiegermutter knüpft.

Die verschachtelte Erzählweise und die Jahre des Stillstands unter den scharfen Augen der herrschsüchtigen Schwiegermutter dominieren die Rückblenden und verhindern einen dramatischen Handlungsverlauf. Über lange Strecken liegt es deshalb bei den starken Figuren und ihren genau so starken Darstellerinnen – allen voran Rabiaa Ben Abdallah –, das Interesse des Publikums aufrechtzuerhalten.

18.11.2020

3

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