La chambre des magiciennes Frankreich 2000

Filmkritik

Eine resolute Depressive

Filmkritik: Andrea Bleuler

In Claude Millers komischem Drama findet die von chronischer Migräne gemarterte Claire (AnneBrochet) nach einer Schocktherapie im Zusammensein mit zwei bizarren "Magiciennes" wieder zu Kräften. Die gewagte Mischform der beiden grossen Genres ist dabei ausserordentlich gut gelungen.

"Pocht es, hämmert es oder ist es ein diffuses Gefühl?", fragt der behandelnde Arzt eine junge, blasse Frau mit weit aufgerissenen Augen. "Alles gleichzeitig" ist ihre verzweifelte Antwort. Claire (Anne Brochet), Doktorandin in Ethnologie mit Spezialgebiet Rituale in Westafrika, ist am Rande ihrer Kräfte. Weder ihre hochschwangere Schwester, die regelmässig auftaucht, um sich Geld zu borgen, ihre rassistischen Eltern, noch ihr Geliebter, ein verheirateter Mann, wollen sich darum bemühen, ihr zu helfen. Auch sämtliche Neurologen sind ratlos, und so schmeisst sie schliesslich ihre Doktorarbeit hin und lässt sich in eine Klinik einliefern

Dort teilt sie ein klaustrophobisch kleines Zimmer mit einer übermässig gesprächigen Gelähmten (Mathilde Seigner), die dauernd fernsieht, und einer beängstigenden Alten mit schelmischem Blick (Annie Noël). Diese liegt meist reglos da, ausser sie ist auf einer bizarren Mission unterwegs. Es ist jedenfalls alles andere als ein idealer Ort, um von irgendeiner Krankheit zu genesen.

Und hier verlässt Miller die Gefilde der Logik, um sein Publikum ins Land des Unerklärbaren - das Zimmer der "Magiciennes" - zu lotsen. Claires Hilflosigkeit und ihr stummes Leiden entwickeln sich zusehends zu Wut und schliesslich gar zu ekstatischer Lebensfreude. Dafür verantwortlich ist wohl die komische alte Frau, die sie in Angst und Schrecken versetzt: Claires psychosomatische Krankheit löst sich erst in Nichts auf, als sie sich dem Leiden einer um einiges Wahnsinnigeren öffnen kann. Denn: wie schon bei den alten Rittern ist der Sieg über die eigene Angst der Schlüssel zum Erfolg.

Mit "La Chambre des Magiciennes" nähert sich Claude Miller, eigentlich ein Routinier des typisch französischen Films, der jungen Generation von Filmemachern an. Einerseits, weil der Film in DV gefilmt ist - er gehört zur Collection "Petite Caméra" von ARTE -, andererseits, weil sich auch thematisch - eine junge Frau droht an ihrem psychischen Leiden zu Grunde zu gehen - eine Verwandschaft zu aktuellen, jungen Filmen feststellen lässt. Man erinnert sich an "Les Gens normaux n'ont rien d'exceptionnel" von Laurence Ferreira Barbosa" und "La Faute à Voltaire" von Abdellatif Kechiche. Fazit bei all diesen Geschichten: Retten kann sich nur, wer selbst ein wenig zum Helfer wird.

Das grosse Amusement an Millers Film ist allerdings, mit welchem Zynismus ein zeitgenössisches Wesen in seiner Einsamkeit und in totaler Egozentrik beobachtet wird. Die Dialoge der rundum anstrengenden Hauptpersonen sind gespickt mit frechen, schrägen Einfällen. Anne Brochet leiht ihrem Charakter ihre verführerische, ängstliche Zerbrechlichkeit, die sie schon in "
Cyrano de Bergerac" an der Seite von Gérard Depardieu* so überzeugend hat einsetzen können. In ihrer Interpretation macht sie eine verdeckte Depression nachvollziehbar, wirkt aber gleichzeitig auch resolut und vor allem komisch. Das Werk entzieht sich dadurch wohl auch allen landläufigen Klassifikationen. Ein ganz eigentümliches Gemisch von emotionalen Erfahrungen und Unterhaltung bleibt jedenfalls nach dem Kinobesuch in der Erinnerung hängen.

09.01.2002

4

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