El Entusiasmo Chile, Frankreich, Spanien 1998 – 105min.

Filmkritik

El Entusiasmo

Filmkritik: Manuela Bruderer

Mit "El Entusiasmo" gelangt zum ersten Mal ein chilenischer Spielfilm in die Schweizer Kinos. Der in Europa wenig bekannte Regisseur Ricardo Larrain schafft mit seinem zweiten Werk ein bildgewaltiges und symbolträchtiges Spektakel. Darin spielt der Diktator Pinochet ebenso eine Rolle wie die Liebe oder der Dichter Pablo Neruda. Wer aber auf eine poetisch-sinnliche Lovestory à la "Il Postino" hofft, sitzt im falschen Film. Vielmehr zeigt uns Larrain mittels einer Liebesgeschichte ein Stück chilenische Realität auf, die allzu oft in Lügen und Halbwahrheiten versinkt.

Chile in der Nachdiktaturzeit der Neunzigerjahre. Drei gut aussehende Personen in einem Unheil bringenden Netz von Liebe, Lügen und Metaphern: Isabel (Maribel Verdú), in erster Linie Frau und Mutter, Fernando (Álvaro Escobar), in jungen Jahren ein enthusiastischer Möchtegernbohemien, später feuriger Liebhaber und lausiger Ehemann von Isabel, und Guillermo (Álvaro Rudolphy), der gute alte, in sich gekehrte Hausfreund. Die drei Figuren haben die unterschiedlichsten Träume und Ideen und packen diese ebenso verschieden an.

Das Land, dem unter Pinochets Diktatur der Kapitalismus aufgezwungen wurde, ist liberal und wettbewerbsverrückt geworden. Die Ideologie der marxistischen Parteien ist fehl am Platz. Was zählt, ist die klingende Münze. So oder ähnlich müssen die Gedanken durch Guillermo schwirren, während er seine Umwelt mit der Videokamera aufnimmt. Er ist es denn auch, der zuerst die Idee einer "Unabhängigen Republik" entwickelt. Doch für ihn ist dies nur ein Traum, und längst nicht alle seine Träume müssen gegen Entgelt verwirklicht werden.

Dies gilt nicht für den tüchtigen Geschäftsmann Fernando, der sich Jahre später die Konzeption der "Unabhängigen Republik" aneignet. So ist es symptomatisch für diesen nach Erfolg strebenden Herrn, dass er am Geburtstag Isabels ein vorerst nicht ganz ernst gemeintes Besitzdokument der Insel der "Unabhängigen Republik" ausstellt. Fernando setzt jedoch mit seiner wankelmütigen, euphorischen Art nicht nur die Freundschaft Guillermos und die Liebe Isabels aufs Spiel, sondern gerät langsam aber sicher in einen subtilen Sumpf von Halbwahrheiten und Lügen. Sein Liebäugeln mit der Poesie von Pablo Neruda verkommt zur Farce, und plötzlich wird alles bitterböser Ernst, und die Geschichte erfährt in der Mitte des Films eine fatale Wende.

Isabel träumt von einer modernen, unabhängigen, aber liebevollen Familie. Ihr Sohn Miguel, der an verschiedenen Stellen mit wiederkehrenden Stilmitteln versehen in die Handlung eintritt, wird zur Schlüsselfigur, die immer wieder die Realität ins Gedächtnis ruft. Sein junges Herz ist noch nicht von Lügen umsponnen und sein Verstand noch nicht so ausgereift, dass er schlaue Metaphern verstehen könnte. Er versteht nur eines: Die Erwachsenen führen ein unverständliches Theater auf: Wieso tun sie Dinge, die ihr Gegenüber verletzen, die ihrem Herzen zuwider sind? So lässt auch der Schluss - nicht nur für Miguel - viele Fragen offen.

Ricardo Larrain zeigt ein facettenreiches Bild des Lebens im chilenischen Norden. Etwas einfallsreicher und würziger dürfte die Dreiecksbeziehung inszeniert sein. Dieser Umstand wird durch die raffinierte Symbolik, die gut eingesetzte klassische Musik, die eindrückliche Kameraführung und den tiefgründigen Inhalt nicht ganz aufgewogen. Die Geschichte wirkt beim ersten Hinsehen ein wenig langatmig, doch diese Langatmigkeit ist vielleicht als Anspielung auf jene des Ex-Diktators aufzufassen: Schenkt man den jüngsten Zeitungsberichten Glauben, so erfreut sich Pinochet bester Gesundheit, jedenfalls dann, wenn es nicht darum geht, vor Gericht für seine Taten gerade zu stehen.

14.04.2021

4

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Kommentare

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smokey1

vor 22 Jahren

Zeigt Chile im Spannungsf. zw. gestern und morgen


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