Kritik23. Januar 2024

Paramount+-Kritik: «The Woman in the Wall»: Schlafwandelnder Racheengel

Paramount+-Kritik: «The Woman in the Wall»: Schlafwandelnder Racheengel
© Paramount+

Schlafwandelnd rächt sich eine Frau für die Qualen ihrer Vergangenheit. In «The Woman in the Wall» begegnet Serienfans ein düsterer Mix aus Krimi, Mystery und Horror, der mit einem dunklen Kapitel irischer Geschichte abrechnet.

Lorna (Ruth Wilson) ist Schlafwandlerin. Beinahe jede Nacht unternimmt ihr schlafendes Ich Ausflüge in ihrem kleinen irischen Dorf, zerstört ihre Inneneinrichtung oder tritt mit anderen Menschen in Kontakt. Eines Morgens entdeckt sie die Leiche einer Frau in ihrem Haus, kann sich aber nicht an ihren nächlichen Ausflug erinnern – hat sie sie ermordet? Die Spuren der Frau führen weit in Lornas traumatische Vergangenheit in einem Magdalenenheim, in dem ihr ihr Baby weggenommen wurde. Auch für die Ermittler der Polizei scheinen alle Wege zu Lorna zu führen.

Es ist ein düsterer Genre-Mix, an dem sich «The Woman in the Wall» versucht. Mystery, Krimi, eine Portion Horror und ein Schuss wahre Begebenheiten vermischen sich zu einem hypnotisierenden Ganzen, das sowohl der realen Tragödie der Magdalenenheime Rechnung trägt, als auch zu unterhalten weiss. Fans von Schaurigem werden Referenzen zur irischen Folklore und zu den unheimlichen Erzählungen von Edgar Allan Poe entdecken.

Die ebenso wahre wie erschreckende Grundlage von «The Woman in the Wall» bilden die Magdalenenheime oder auch Magdalen Laundries, die seit 1829 von der katholischen Kirche in Irland betrieben wurden, um sogenannte “gefallene Frauen” zu verwahren. Die von Klöstern verwalteten Heime waren ein Auffanglager für ehemalige Prostituierte und unverheiratete Mütter, in denen mitunter gefängnisähnliche Zustände herrschten. Die Frauen mussten in den Wäschereien der Heime unbezahlte Zwangsarbeit leisten und wurden oft misshandelt. Vielen Müttern wurden ihre Kinder weggenommen, die dann zur Adoption freigegeben wurden. Erst 1996 wurde das letzte Magdalenenheim in Irland geschlossen, nachdem 1993 der Fund von einem Massengrab auf dem Gelände eines ehemaligen Heimes einen Skandal ausgelöst hatte.

Ruth Wilson in «The Woman in the Wall» © Paramount+

Aufgrund dieser realen Hintergründe ist «The Woman in the Wall» recht bedrückend, entfaltet aber durch den mysteriösen Mordfall und Lornas zunehmende psychische Zerrüttung eine besondere Sogwirkung. Ihre Halluzinationen und die Unsicherheit, ob sie gerade schläft oder wach ist, wirken fast schon wie ein übernatürliches Element und weichen die Grenzen zwischen Traum und Realität immer weiter auf. Lorna als Hauptfigur ist allerdings nicht nur eine unzuverlässige Erzählerin, sondern ist in ihrem Verhalten nur sehr schwer einzuschätzen – mal ist sie das schweigsame Mauerblümchen, im nächsten Moment kreischende Furie. Das ist zwar manchmal irritierend, hält aber durch die Unvorhersehbarkeit die Spannung hoch.

Zahlreiche Rückblenden in Lornas traumatische Vergangenheit erzählen nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die der anderen Frauen im Dorf, die im nahegelegenen Magdalenenheim interniert waren. Zerstörte Menschen, trübes Wetter und bröckelnde irische Provinz so weit das Auge reicht – «The Woman in the Wall» macht stimmungstechnisch alles richtig und erschafft eine düstere Atmosphäre, die aber immer wieder von der Hoffnung der Frauen auf Gerechtigkeit aufgehellt wird.

Daryl McCormack in «The Woman in the Wall» © Paramount+

Gekonnt wird dieser Kampf in die Handlung eingewebt, als eine Gruppe Frauen aus dem Dorf eine Klage vorbereitet, um endlich Gerechtigkeit für die Verbrechen zu bekommen, deren Opfer sie in den Heimen geworden sind. «The Woman in the Wall» bindet dabei auch feministische Themen ein, die sowohl die religiöse als auch die gesamtgesellschaftliche Unterdrückung der Frauen abbilden. Lorna erfährt beispielsweise, dass der Vater ihres Kindes mittlerweile verheiratet ist und weitere Kinder hat. Während sie die Verachtung der Gesellschaft zu spüren bekam und von ihren Eltern an einen Ort des Schreckens geschickt wurde, lebte er ein völlig normales und unbeschwertes Leben. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wird nur von der Gleichgültigkeit der Bevölkerung für das Leid in den Magdalenenheimen übertroffen.

Zum Ende bietet «The Woman in the Wall» noch eine besondere Überraschung. Im Abspann der letzten Episode ist nämlich «The Magdalene Song» zu hören, ein Song von Sinéad O’Connor, der nun posthum veröffentlicht wird. Die Sängerin, die im Juli 2023 verstorben ist, lebte selbst als “Problemkind” in einem Magdalenenheim und berichtet im Song von ihren Erfahrungen.

4 von 5 ★

«The Woman in the Wall» ist seit dem 19.01. auf Paramount+ zu sehen.

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