Critique27. April 2023

«Beau is Afraid»: Beklemmend-bizarre Seelenschau

«Beau is Afraid»: Beklemmend-bizarre Seelenschau
© Elite Film

Mit «Hereditary – Das Vermächtnis» und «Midsommar» setzte Ari Aster markante Noten im modernen Horrorkino. Wie Kindergeburtstage wirken seine ersten beiden Spielfilme allerdings beim Blick auf seine schauerliche Komödie «Beau Is Afraid», die uns auf einen irren, zermürbenden, aber auch herrlich unberechenbaren Drei-Stunden-Trip entführt.

Eine Kritik von Christopher Diekhaus

Der Titel schreit es bereits laut heraus: Den Alltag von Beau (Joaquin Phoenix) prägt eine grosse Verunsicherung. Permanent fühlt sich der Mann mit dem schütteren Haar und dem kleinen Bauchansatz verfolgt. Ständig haben ihn seine Neurosen im Griff. Die Kontrolle entgleitet ihm endgültig, als er zu einem Besuch bei seiner Mutter (einschüchternd: Patti LuPone) aufbrechen will. Sein Koffer und seine Wohnungsschlüssel verschwinden spurlos, weshalb er den Flieger verpasst. Einige Verwicklungen später wird Beau Opfer eines Autounfalls und findet sich plötzlich in der Obhut eines Arztes (Nathan Lane) und dessen Ehefrau (Amy Ryan) wieder. Ihr Haus möchte er nach einer schockierenden Nachricht so schnell wie möglich wieder verlassen.

Familiäre Abgründe und toxische Beziehungen scheinen Ari Aster besonders zu interessieren. Warum sonst sind sie auch in seiner dritten abendfüllenden Regiearbeit, die auf einem eigenen Kurzfilm aus dem Jahr 2011 aufbaut, zentraler Bestandteil? Erforscht wird dieses Mal, das darf man ruhig verraten, das höchst eigenwillige Verhältnis zwischen einem Sohn und seiner mit ihrer Rolle hadernden Mutter. Alfred Hitchcocks Klassiker «Psycho» lässt grüssen!

Erinnerungen weckt «Beau Is Afraid» auch an Roman Polanskis Thriller-Drama «Le locataire», Rob Reiners Kammerspiel «Misery» nach Stephen King und den surrealen Kosmos eines David Lynch. Gewürzt ist der Film zudem mit einem kräftigen Schuss absurden Humors.

© Elite Film

Kino für die breite Masse sieht sicher anders aus. Allein die dreistündige Laufzeit wird auf manche Menschen eine abschreckende Wirkung haben. Asters Ambitionen grenzen zuweilen an Grössenwahn. Immer wieder lädt er das Geschehen symbolisch auf. Und gerade im Mittelteil gibt es Passagen, denen eine kleine Straffung gutgetan hätte.

Ein Albtraum, der eines sicher nicht ist: vorhersehbar.– Christopher Diekhaus

Dass die irrwitzige Odyssee, das Abtauchen in eine zutiefst geschundene Seele dennoch enorme Sogkraft entfaltet, liegt nicht nur an einem gewohnt furiosen Joaquin Phoenix, den exzessive Rollen offenbar magisch anziehen. Beeindruckend ist ferner, wie der Regisseur die ganze Bandbreite seines Mediums nutzt, um eine völlig aus den Fugen geratene Welt heraufzubeschwören. Das New York im ersten Drittel gleicht einem postapokalyptischen Schlachtfeld. Geschrei, aggressive Stimmen sind von ausserhalb des Bildes fortlaufend zu hören. Und gerade in Beaus Wohnhaus vermittelt die Kamera den Eindruck einer fast unerträglichen Enge.

Losgelöst von den Gesetzen der Logik treiben wir mit dem von einer kafkaesken Situation in die nächste taumelnden Protagonisten durch einen schier endlosen Albtraum. Ein Albtraum, der eines sicher nicht ist: vorhersehbar. Aster rührt zwar einige bekannte Zutaten zusammen, kreiert aber ein erstaunlich eigenständiges Gericht. Etwas wie «Beau Is Afraid», noch dazu aus US-amerikanischer Produktion, werden wir 2023 wohl nicht so oft auf der grossen Leinwand sehen.

4 von 5 ★

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