Kritik17. September 2020

«Ratched» Serienkritik : Sarah Paulson als Krankenschwester in geheimer Mission

«Ratched» Serienkritik : Sarah Paulson als Krankenschwester in geheimer Mission
© Netflix

1962 erschien Ken Keseys Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“. 1975 folgte die von Miloš Forman inszenierte Leinwandadaption. Und nun schickt Ryan Murphy bei Netflix die Psychothriller-Serie «Ratched» an den Start, die die Vorgeschichte der aus Buch und Film bekannten Psychiatrie-Krankenschwester Mildred Ratched ausmalt.

Serienkritik von Christopher Diekhaus

Welche Erlebnisse haben die Titelfigur zu der Tyrannin gemacht, als die sie in Keseys Werk und Formans preisgekrönter Verfilmung in Erscheinung tritt? Diese Frage steht in dicken Lettern über der acht Folgen umfassenden Netflix-Produktion (eine zweite Staffel soll bereits in Planung sein), die Evan Romansky mit «American Horror Story»-Schöpfer Ryan Murphy entwickelt hat. Eine kompromisslose Antagonistin genauer auszuleuchten, kann ergiebig sein, birgt zugleich aber auch die Gefahr, ihre einschüchternde Aura zu entzaubern.

Die Serie sieht absolut blendend aus.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Die Serie setzt im Jahr 1947 ein und schildert nach einem drastischen Auftakt, in dem ein junger Mann namens Edmund Tolleson (Finn Wittrock) mehrere Priester brutal abschlachtet, die Ankunft der Krankenschwester Mildred Ratched (Sarah Paulson) im Norden des Bundesstaates Kalifornien, wo sie sich mit erstaunlicher Unverfrorenheit einen Job in der psychiatrischen Klinik von Dr. Richard Hanover (Jon Jon Briones) erschleicht.

Der resoluten Oberschwester Betsy Bucket (Judy Davis) ist die neue Kraft umgehend ein Dorn im Auge, da Mildred den Anstaltsleiter von Anfang an auf ihre Seite zieht. Während sie darauf hinarbeitet, die Karriereleiter emporzusteigen, sucht sie den Kontakt zum Mehrfachmörder Tolleson, der in einem Spezialtrakt des Krankenhauses einsitzt und einer drohenden Hinrichtung entgegenblickt.

© Netflix

Ins Auge sticht schon nach wenigen Minuten der grosse Aufwand, den die Szenenbild- und die Kostümabteilung betreiben, um den Betrachter in das Amerika der ausgehenden 1940er-Jahre zu versetzen. Die Serie sieht blendend aus und erinnert mit ihren wohl komponierten, blitzblanken, farbsatten Bildern an einen Technicolor-Film, der in der Handlungszeit entstanden sein könnte. Die Aufmachung hat etwas Künstliches und weckt dadurch leichte Irritationen.

Subtil ist hier fast gar nichts.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Im Kontrast zum hübschen Anstrich stehen die grellen Gewalteruptionen und die teils brachialen Twists, die aus «Ratched» eine kolportagehafte Geschichte um Liebe, Mord, Missbrauch, Rache und Selbstbestimmung machen. Subtil ist hier fast gar nichts.

Ständig schwingen Murphy und seine Verbündeten den Holzhammer und setzen dem Zuschauer eine Reihe kaputter Figuren mit finsteren Geheimnissen vor, die in manchen Fällen arg klischierte Muster bedienen. Auch die im Zentrum stehenden Erfahrungen der von Sarah Paulson beängstigend zielstrebig verkörperten Mildred sind vor schrillen Tönen nicht gefeit.

© Netflix

Obwohl die aufstrebende Krankenschwester als widersprüchlicher, zwischen Skrupellosigkeit und Menschlichkeit changierender Charakter gezeichnet wird und ihre aufkeimende Beziehung zu Gwendolyn Briggs (Cynthia Nixon), der Sekretärin des vulgären kalifornischen Gouverneurs (Vincent D’Onofrio), dem Ganzen ehrliche Emotionen einimpft, verliert die Protagonistin in den letzten Episoden einiges von ihrer unheimlich-faszinierenden Strahlkraft. Den Gipfel der eher grobschlächtigen Erzählführung erreicht die Serie im Finale der ersten Staffel, das für den Todeskandidaten Tolleson eine auf ärgerliche Weise groteske Schicksalswendung bereithält.

Während Freunde psychologisch ausgefeilter Origin-Storys nur sehr bedingt auf ihre Kosten kommen, dürften Liebhaber von filmischen Zitatspielereien einiges zu tun haben. Immerhin bietet «Ratched» einen Streifzug durch die Historie des Spannungskinos. Hitchcocks «Psycho», Stanley Kubricks «The Shining», Jonathan Demmes «Das Schweigen der Lämmer», Martin Scorseses «Kap der Angst» und Arthur Penns «Bonnie and Clyde»“, um nur einige Beispiele zu nennen, hinterlassen im Verlauf der acht Folgen ihre Spuren. Als Entschädigung für manche kreative Leerstelle taugen diese Referenzen jedoch nicht.

2.5 von 5 ★

Die erste Staffel von «Ratched» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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