Kritik12. April 2021

Netflix-Kritik «Night in Paradise»: Dem Tod geweiht

Netflix-Kritik «Night in Paradise»: Dem Tod geweiht
© Netflix

Kompromissloses Gangsterkino und atmosphärisches Drama – dem südkoreanischen Filmemacher Park Hoon-jung, unter anderem Autor des beinharten Schockers «I Saw the Devil», gelingt mit «Night in Paradise» ein vibrierender Genre-Mix, der erst zum Ende hin seine Bodenhaftung verliert.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Als der für den Mafiaboss Yang (Park Ho-san) arbeitende Gangster Tae-gu (Eom Tae-goo) seine Halbschwester und deren kleine Tochter vom Flughafen abholt, muss er sich schon bei der Begrüssung kritische Bemerkungen über sein illegales Treiben anhören. Wahrscheinlich sterbe er noch vor ihr, wirft ihm seine schwerkranke Verwandte vor den Ohren ihres Kindes an den Kopf. Eine Schelte, aus der jedoch echte Verbundenheit spricht. Irgendwie ahnt man nichts Gutes, wenn Tae-gu seinen Besuch gleich darauf in den Wagen eines seiner Helfer verfrachtet und sich freudig winkend verabschiedet, da er noch etwas zu erledigen habe.

Park, der auch das Drehbuch schrieb, wechselt wirkungsvoll zwischen den unterschiedlichen Schauplätzen.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Bei einer Ärztin erhält er im Anschluss die niederschmetternde Nachricht, dass er als Organspender für seine Halbschwester nicht in Frage komme. Augenblicke später sehen wir den Kriminellen schliesslich in sich zusammengesunken an einer verregneten Unfallstelle sitzen. Seine Angehörigen sind tot. Und die Müdigkeit, die sich bereits zuvor in sein Gesicht gegraben hat, scheint nun noch ausgeprägter zu sein. Für Tae-gu und seinen Chef besteht kein Zweifel daran, dass der Crash ein Attentat war. In Auftrag gegeben vom Anführer eines verfeindeten Clans.

In seiner stillen Wut holt der junge Mann in einer Spa-Einrichtung zu einem drastischen Vergeltungsschlag aus, der Erinnerungen an einen schweisstreibenden Saunakampf in David Cronenbergs Gangsterstreifen «Tödliche Versprechen» weckt. Nach dem Racheakt besorgt Yang seinem Untergebenen neue Papiere und schickt ihn auf die malerische Insel Jeju, wo sich Tae-gu eine Woche lang bei einem Waffenhändler (Lee Ki-young) und dessen Nichte Jae-yeon (Jeon Yeo-been) verstecken soll, um dann nach Russland weiterzureisen. Während der Flüchtende das Eiland erreicht, eskaliert in Seoul der Konflikt zwischen Yangs Organisation und der konkurrierenden Sippe.

Passagen, die sich um das Kräftemessen im kriminellen Milieu drehen, treiben die Spannung Stück für Stück nach oben, was auch an einigen guten Darstellerleistungen liegt.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Park, der auch das Drehbuch schrieb, wechselt wirkungsvoll zwischen den unterschiedlichen Schauplätzen. Passagen, die sich um das Kräftemessen im kriminellen Milieu drehen, treiben die Spannung Stück für Stück nach oben, was auch an einigen guten Darstellerleistungen liegt. Besonders hervortun kann sich Cha Seung-won, der in der Rolle des Verbrechers Ma mit abschätzig-böser Mimik die brutale Antwort auf Tae-gus Blutbad koordiniert. In all seinen Szenen geht von dem der Leinwandikone Christopher Lee ähnelnden Schauspieler eine bedrohliche Aura aus. Nicht zuletzt bei einem Treffen mit Yang und einem korrupten Polizisten, das ein Ende des grausamen Bandenkrieges herbeiführen soll.

Die Jeju-Abschnitte wiederum zeichnen sich durch eine melancholische Stimmung aus, die in erster Linie der Interaktion zwischen Tae-gu und der sterbenskranken, waffenschwingenden Jae-yeon entspringt. Ihre ruppige, direkte Art und der Galgenhumor, mit dem sie ihrem Schicksal begegnet, machen den Neuankömmling immer wieder sprachlos. Hinter der rauen Fassade blitzt nach und nach allerdings eine tiefe Traurigkeit auf. Tae-gu und Jae-yeon sind zwei verlorene Seelen und nähern sich gerade deswegen langsam an. Mitunter glaubt man, eine romantische Anziehung zu spüren. Der Film belässt es jedoch bei Andeutungen und bewahrt sich so eine aufregende Ambivalenz. Gerade in den Inselpassagen liefert Kameramann Kim Young-ho, der das Geschehen mit einem frostigen Blaustich überzieht, einige die Emotionen der Figuren treffend spiegelnde Einstellungen ab.

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Auf Handlungsebene führt uns Park hier und da gekonnt in die Irre. In der zweiten Hälfte schlägt sein Skript aber auch ein paar Volten, die einen Tick zu konstruiert erscheinen. Die daraus resultierenden Actionszenen haben Schnitt. Und im Showdown unterstreicht der Regisseur unmissverständlich, dass das Geschäft der Mafia – anders etwa als im Gangsterklassiker «Der Pate» – nichts Glamouröses an sich hat, sondern eine dreckige, denkbar blutige Angelegenheit ist. Die krasse Schonungslosigkeit in allen Ehren – gegen Ende läuft «Night in Paradise» dann aber doch ein wenig aus dem Ruder.

4 von 5 ★

«Night in Paradise» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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