Kritik4. Juli 2023

Netflix-Kritik: «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen»: Queeres Leben im Schatten des Dritten Reichs

Netflix-Kritik: «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen»: Queeres Leben im Schatten des Dritten Reichs
© Netflix

Zum Abschluss des LGBTQ+ Pride Month präsentiert Netflix mit «Eldorado - Alles, was Nazis hassen» eine Zeitreise, um das Leben von queeren Menschen in Berlin am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu entdecken. Der Weg führt in einen legendären Berliner Club, der eine echte Heimat für die Szene war – bis zur Machtergreifung der Nazis.

von Maxime Maynard

Von den 20er- bis zu den frühen 30er-Jahren ist das «Eldorado» ein Berliner Kabarett, ein kleiner Freiraum einer geheimen, aber dynamischen Gemeinschaft. Hier, fernab von Verboten von aussen, werden Triebe ausgelebt und Sehnsüchte gestillt. Vor einem bunt gemischten und begeisterten Publikum reiht sich eine burleske Aufführung an die nächste. Doch während die Welt innerhalb der Mauern dieses Clubs offen erscheint, wird draussen unter der Führung von Adolf Hilter die Landschaft des totalitären Nazideutschlands geprägt. Und langsam weicht die ersehnte Emanzipation der Angst.

Die Weimarer Republik war von Spannungen, Wirtschaftskrisen und internen Konflikten geprägt. Dennoch war es unter dieser Regierung, dass die Berliner Lebensfreude begann, die internationale Fantasie zu beflügeln und die Stadt mit eigenen Räumen für die Queer-Community aufblühte. Der britisch-amerikanische Schriftsteller Christopher Isherwood schrieb in seiner Sammlung «Berlin Stories» eine fiktionale Version seiner eigenen Erfahrungen nieder. Seine Kurzgeschichte «Leb wohl, Berlin» diente als Inspiration für das Kultmusical «Cabaret», das 1972 von Bob Fosse mit einer hypnotisierenden Liza Minnelli auf der Leinwand verewigt wurde. Die Schauspielerin spielte Sally Bowles, Sängerin im «Kit Kat Club», einem ganz besonderen Etablissement, das an «Eldorado» erinnert.

© Netflix

Mit «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen» versucht der Regisseur Benjamin Cantu, ein lebensechtes Porträt eines legendären Ortes zu zeichnen. Er lebt selbst in der deutschen Hauptstadt und hat sein Talent mit «Stadt Land Fluss» bewiesen, der bei den Berliner Filmfestspielen 2011 in der Sektion Generation gezeigt wurde. Für «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen» arbeitete er mit Historikern, Aktivisten und Politikwissenschaftlern zusammen, die uns so genau wie möglich die politische und ideologische Entwicklung anhand der Leben der damaligen Figuren erläutern und die Behandlung von queeren Menschen veranschaulichen.

Das Publikum lernt Charlotte Charlaque kennen, eine der ersten Transfrauen, die operiert wurde, Gottfried von Cramm, einen berühmten bisexuellen Tennisspieler, oder Ernst Röhm, einen Homosexuellen und engen Vertrauten Hitlers, der in der "Nacht der langen Messer" ermordet wurde. Die Interviews mit den Fachleuten werden von Stummfilmaufnahmen unterbrochen, die die Ereignisse auf angenehme Weise ins Bild setzen. Der Film entfernt sich jedoch schnell von den bunten Kulissen des «Eldorado» und konzentriert sich auf die queeren Menschen, deren Freiheitsdrang durch den Aufstieg der Nazis an die Macht gebrochen wird. Angesichts dieser leichten Neuorientierung kann eine gewisse Frustration aufkommen. Aber das Leben dieser Menschen fesselt, fasziniert und berührt.

Angesichts der Tatsache, dass das Dritte Reich immer wieder versucht hat, die queere Kultur auszulöschen, ist «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen» umso wichtiger. Im Laufe der Geschichte begegnen wir Magnus Hirschfeld, einem brillanten Sexualwissenschaftler, der die erste Schwulenbewegung ins Leben gerufen hat, oder erfahren mehr über den Paragraphen 175 gegen männliche Homosexualität, der von den Nazis eingeführt, 1994 offiziell aufgehoben und 2022 in dem Spielfilm «Grosse Freiheit» mit Franz Rogowski perfekt veranschaulicht wurde. Auch wenn das alles sehr weit weg zu sein scheint, ist die Geschichte dennoch traurig aktuell. «Eldorado - Alles, was die Nazis hassen» von Benjamin Cantu ist eine perfekte Erinnerung daran.

3,5 von 5 ★

«Eldorado - Alles, was die Nazis hassen» ist seit dem 28. Juni bei Netflix verfügbar.

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