Kritik10. April 2019

«Free Solo»: Die oscarprämierte Kletter-Doku ist nichts für schwache Nerven

«Free Solo»: Die oscarprämierte Kletter-Doku ist nichts für schwache Nerven
© Arthouse

Sportdokus scheinen in den letzten Jahren Hochkonjunktur zu haben: Nachdem die Netflix-Produktion «Icarus» über Doping in der Sportwelt 2018 den Oscar für die beste Dokumentation abgeräumt hat, kam diese Ehre dieses Jahr «Free Solo» zu – und das völlig zu Recht.

Dokumentarfilmerin E. Chai Vasarhelyi und der weltbekannte Fotograf und Bergsteiger Jimmy Chin nehmen sich in «Free Solo» dem Extrem-Bergsteiger Alex Honnold an, der sich inmitten der Vorbereitungen für die Besteigung des 975-Meter hohen El Capitan im kalifornischen Yosemite-Nationalpark befindet. Sein Ziel: Die wohl bekannteste Felswand der Welt ohne Sicherungsseil – heisst free solo – zu bezwingen. Für den draufgängerischen Alex ist dieses gewaltige Risiko scheinbar unproblematisch, für das Filmteam und seine Freundin kein leichtfertiger Gedanke – würde der kleinste Fehler doch seinen sicheren Absturz in den Tod bedeuten.

Die Frage, ob es normal ist, in einem solchen Mass Extremsport zu betreiben, stellt sich häufig.

Free Solo beleuchtet dabei nicht nur die sportlichen oder physiologischen Komponenten einer solchen Extremleistung – Alex unterzieht sich zum Beispiel einem MRI-Scan seines Hirns, um allfällige Differenzen zu einem „normalen“ Gehirn festzustellen – sondern zeigt den Free-Solo-Kletterer auch in seinem Alltag, in seinem einfachen Leben im Campingbus, beim Kochen mit seiner Freundin.

Und der 33-jährige lässt auch persönlich hinter die Fassade blicken: So erfährt man als Zuschauer mittels Interviews von seiner Kindheit und Jugend und der Selbsteinschätzung seiner Persönlichkeit. Die Frage, ob es normal ist, in einem solchen Mass Extremsport zu betreiben – die meisten Free-Solo-Kletterer sterben im Verlauf ihrer Karriere, da nur schon ein kleiner Fehler beim Klettern den sicheren Tod bedeutet – stellt sich häufig, vor allem, weil Alex während den Dreharbeiten seit kurzem eine Freundin hat, die sich verständlicherweise um ihn sorgt.

Die atemberaubenden Bilder sollten selbst höhenerprobten Zuschauern einen Schauer über den Rücken jagen.

Auch das Filmteam selbst wird ausschnittweise gezeigt und deren Zweifel thematisiert: Was, wenn der Kletterer nur aufgrund der Anwesenheit der Kameras an Selbstsicherheit verliert und deshalb einen Fehler macht? Was, wenn er während den Dreharbeiten sterben würde? Die Kameramänner, selbst alles professionelle Kletterer, suchen lange nach den perfekten Stellen auf der Freerider-Route, um bei der historischen Free-Solo-Begehung die perfekten Bilder einfangen zu können, Alex aber so wenig wie möglich bei seiner Tat zu stören.

© Arthouse

Sie fangen atemberaubende Bilder ein, für die sich eine grosse Leinwand absolut lohnt und bei denen selbst höhenerprobten Zuschauern ein Schauer über den Rücken laufen dürfte. Denn wenn man sich vorstellt, dass ein Mensch ohne Sicherung dort an dieser Felswand hängt, nur ein kleiner Fehltritt ihn zwischen Leben und Tot trennt, ist das Adrenalin pur. Wohl mitunter ein Grund, weshalb die Academy den fast schon Thriller-mässig spannenden Streifen bei den diesjährigen Oscars zum besten Dokumentarfilm gekürt haben: Weil man dank den Aufnahmen an einem historischen Moment teilhaben kann, der unglaubliche menschliche Leistungen erfordert. Und das gänzlich ohne Sicherung, aber auch gänzlich ohne Risiko.

4 von 5 ★

«Free Solo» ist ab dem 11. April in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

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