Critique24. August 2021

Sky Show Kritik: «The White Lotus»: Wenn Reiche reisen

Sky Show Kritik: «The White Lotus»: Wenn Reiche reisen
© Sky Show

Von Autor und Regisseur Mike White («School of Rock», «Enlightened») kommt die amerikanische Hit-TV-Show des Sommers, die sich mit dem exzessiven Verhalten der Superreichen befasst. Vor einem tropischen Hintergrund nimmt die sozialkritische Satire mit Star-Besetzung das Weisse Privileg einer Gruppe von Luxus-Touristen unter die Lupe.

Filmkritik von Gaby Tscharner Patao

Im hawaiianischen Nobelhotel The White Lotus trifft wie jede Woche ein neues Boot mit superreichen Touristen ein, die vom Concierge Armand (Murray Bartlett) mit Orchideen-Leis empfangen werden. Unter den Neuankömmlingen befinden sich die Mossbachers, die gestörte Familie von Nicole (Connie Britton), dem CEO einer Multimilliarden Tech-Firma, die alleinstehende Tanya McQuoid (Jennifer Coolidge) kommt mit der Asche ihrer verstorbenen Mutter und einem Haufen von Problemen angereist und die frischverheiratete Rachel (Alexandra Daddario) merkt in ihren Flitterwochen, dass sie nur wenig mit Shane (Jake Lacy), ihrem verwöhnten und streitsüchtigen Muttersöhnchen von einem Ehemann, gemein hat. Sie alle bringen ihren emotionalen Ballast mit in die Ferien und entladen ihn auf dem wohlmeinenden Hotelpersonal, was für einen der Protagonisten dieser Serie ultimativ sogar zum Tod führt. Richtig, «The White Lotus» ist auch ein Krimi.

Mike White, der Autor und Regisseur von «The White Lotus», ist ein Meister des Beobachtens menschlichen Verhaltens, was er auch als häufiger Teilnehmer an amerikanischen Reality-TV Shows wie «The Amazing Race» und «Survivor» bewiesen hat. Schon mit der von Kritikern gelobten Serie «Enlightened», über eine Frau, deren spirituelles Erwachen Chaos in ihrem Umfeld anrichtet, bewies er vor zehn Jahren, dass er menschliches Verhalten gekonnt mit aktuellem Zeitgeist verknüpfen und in gute Unterhaltung verpacken kann.

Im Gegensatz zu anderen Upstairs/Downstairs Fernsehserien wie z.B. «Downton Abbey» sehen wir die Ereignisse im Hotel fast ausschliesslich aus dem Blickwinkel der reichen Gäste.– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner Patao

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Schon in den ersten Minuten der ersten Folge wird klar, in welche Richtung «The White Lotus» steuert. Die Luxustouristen landen wie einst die Eroberer in einem Boot an den Ufern einer hawaiianischen Insel, wo sie erwarten, von den hiesigen Angestellten des Nobelhotels verwöhnt und verhätschelt zu werden. Parallelen zu den Geschichten von Kolonialisten wie Kapitän Cook, die Einheimischen Seuchen wie die Masern brachten und sie ihres Landes beraubten, sind nicht zufällig.

Tanya bucht ihren ersten Wellness-Termin schon bevor sie auch nur einen Fuss ins Hotel gesetzt hat. Als sie auf die fürsorgliche Spa-Angestellte Belinda (Natasha Rothwell) trifft, verwechselt sie deren Hilfsbereitschaft mit Freundschaft. «Du bist so gut mit deinen Händen», schnurrt die extrem zuwendungsbedürftige Erbin auf dem Tisch der Masseurin. «Du solltest dein eigenes Wellness-Center haben.» Da Tanya die finanziellen Mittel hat, um Belindas Traum von der Selbständigkeit Realität werden zu lassen, benutzt sie dies als Lockmittel, um die Dienste der gutherzigen Hotelangestellten jederzeit für sich in Anspruch nehmen zu können.

Nach der Trump-Präsidentschaft haben TV-Serien wie «Succession», «Big Little Lies» oder «The Undoing», die sich mit der Dekadenz und den Auswüchsen der reichsten Amerikaner befassen, Hochkonjunktur. Mit «The White Lotus» erreicht dieser Trend nun neue Höhen.– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner Patao

Im Gegensatz zu anderen Upstairs/Downstairs Fernsehserien wie z.B. «Downton Abbey» sehen wir die Ereignisse im Hotel fast ausschliesslich aus dem Blickwinkel der reichen Gäste. Nachdem die Mitarbeiterin Lani (Jolene Purdy) an ihrem ersten Arbeitstag ständig von Bauchschmerzen geplagt wird, platzt ihr schliesslich mitten in der Hotellobby das Fruchtwasser. Die Hawaiianerin hat bei ihrem Einstellungsgespräch ihre Schwangerschaft verschwiegen, um krankenversichert zu sein, wenn ihr Kind auf die Welt kommt. Aber der selbstsüchtige Concierge Armand hatte keinen blassen Schimmer. «Ich dachte, sie sei einfach ein bisschen dick». Etwas mehr Hintergrundgeschichte kriegen wir von Kai (Kekoa Kekumano), ein Kellner und Hula-Tänzer im White Lotus Resort. Seiner hawaiianischen Familie gehörte einst das Land, auf dem das Hotel gebaut ist und heute muss er für die Leute arbeiten, die es ihm gestohlen haben. Seine Beziehung zu einem der Hotelgäste hat für den Einheimischen aber einschneidende Konsequenzen.

Nach der Trump-Präsidentschaft haben TV-Serien wie «Succession», «Big Little Lies» oder «The Undoing», die sich mit der Dekadenz und den Auswüchsen der reichsten Amerikaner befassen, Hochkonjunktur. Mit «The White Lotus» erreicht dieser Trend nun neue Höhen. Die Mossbachers sehen es als eine Art Entwicklungshilfe, dass ihre Tochter Oliva (Sydney Sweeney) eine minder-bemittelte, dunkelheutige Freundin Paula (Brittany O’Grady) mit in die Ferien bringen darf. Als Paula am Mittagstisch erwähnt, dass es sie stört, dass die Hawaiianer am vorigen Abend für die Touristen tanzen mussten, meint Vater Mark (Steve Zahn). «Natürlich ist Imperialismus schlecht. Aber das ist Amerika. Niemand tritt sein Privileg ab. Das ist gegen die menschliche Natur.» Aber auch er weiss, dass Bürgerrechtsbewegungen wie «Black Lives Matter» oder «#Metoo» es vor allem für weisse Männer in den USA immer schwerer machen. Eine Tatsache, die Nicole Mossbacher, die Mutter eines weissen Sohnes, zwischen einem Sonnenbad am Pool und dem nächsten Zoom Meeting mit den Kunden in China, ebenfalls bemängelt.

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Mit seinen bissigen Dialogen und enorm ich-bezogenen Protagonisten zeigt «The White Lotus» die Gefahren, die sich hinter der perfekten Fassade des Luxustourismus verbergen. Die Vermarktung fremder Kulturen oder das «sich schamlos zu Nutze machen» derselben haben verheerende Auswirkungen. Zwar fällt die Serie in den letzten zwei Folgen in seine eigene Falle und versucht, unser Mitgefühl für einige der Hotelbewohner wie Nicole und Mark Mossbacher zu wecken und sie lässt deren Sohn einen Aha-Moment haben, der aber mit Sicherheit nicht zu einem bewussteren Leben führt. Aber, wie im wahren Leben existieren die Überreichen von «The White Lotus» in ihrem eigenen Aquarium, das sie vor den Konsequenzen ihrer Handlungen oder dem Wunsch, die Dinge gerechter zu machen, schützt. Dafür bräuchten sie noch nicht einmal in die Ferien zu reisen.

4,5 von 5 ★

«The White Lotus», ab 23. August auf Sky Show, wahlweise im englischen Original oder in der deutschen Synchronfassung.

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