Critique24. Dezember 2018

Netflix-Kritik «You – Du wirst mich lieben»: Stalking-Serie mit eigenwilligem Blickwinkel

Netflix-Kritik «You – Du wirst mich lieben»: Stalking-Serie mit eigenwilligem Blickwinkel
© Netflix

Wenn Liebe zur Obsession wird: Fernsehexperte Greg Berlanti («Riverdale») erforscht in seinem neuen Format die Schattenseiten der romantischen Annäherung und präsentiert dem Zuschauer eine herausfordernde Hauptfigur, die ihren Gedanken ständig freien Lauf lässt.

Serien-Kritik von Christopher Diekhaus

Ihre Erstausstrahlung feierte die auf dem gleichnamigen Roman von Caroline Kepnes basierende Thriller-Serie «You – Du wirst mich lieben» im Herbst 2018 beim US-amerikanischen Pay-TV-Sender Lifetime. Die internationalen Auswertungsrechte für die erste Staffel sicherte sich Streaming-Riese Netflix, der die bereits bestellte zweite Runde exklusiv veröffentlichen wird.

Anders als man es von vielen Stalking-Geschichten kennt, dominiert in diesem Fall nicht der Blick des Opfers, sondern der des Täters.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Die Studentin Guinevere Beck gerät ins Visier des Buchhändlers Joe.
Die Studentin Guinevere Beck gerät ins Visier des Buchhändlers Joe. © Netflix

Anders als man es von vielen Stalking-Geschichten kennt, dominiert in diesem Fall nicht der Blick des Opfers, sondern der des Täters, der den Betrachter ab der ersten Folge an seinen Überlegungen teilhaben lässt. Mit einer ordentlichen Portion Ironie kommentiert der Buchhändler Joe Goldberg (Penn Badgley, bekannt aus der Serie «Gossip Girl») seine erste Begegnung mit der Studentin Guinevere Beck (Elizabeth Lail) und sein schnell anwachsendes Interesse für die schriftstellerisch ambitionierte junge Frau.

Zweifelsohne gehört einiges an Mut dazu, eine Serie rund um einen Protagonisten aufzubauen, der alles andere als integer ist.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Nach einer fixen Internetrecherche und eigenen Beobachtungen bastelt sich der belesene Einzelgänger ein erstes Bild zusammen und beschliesst, der offenbar nicht ganz glücklichen Guinevere zu einem erfüllteren Leben zu verhelfen. Um den Platz an ihrer Seite einzunehmen, greift Joe schon bald zu drastischen Methoden.

Da war die Welt noch in Ordnung: Guinevere Beck und ihre Freundin Peach.
Da war die Welt noch in Ordnung: Guinevere Beck und ihre Freundin Peach. © Netflix

Zweifelsohne gehört einiges an Mut dazu, eine Serie rund um einen Protagonisten aufzubauen, der alles andere als integer ist und schon recht früh seine dunklen Charakterzüge aufblitzen lässt. Um einen herkömmlichen Sympathieträger handelt es sich bei Joe sicher nicht. Seine mitunter wasserfallartigen, sarkastischen Voice-over-Monologe sind von einer gewissen Überheblichkeit durchsetzt. Urteile über andere Menschen fällt er in Windeseile und erkennt dabei häufig nicht, dass er selbst höchst fragwürdige und erbärmliche Dinge tut.

Dass man den leidenschaftlichen Buchhändler dennoch nicht rundum verabscheut, liegt an seiner ambivalenten Zeichnung. Immerhin kümmert er sich beinahe liebevoll um einen vernachlässigten Nachbarsjungen (Luca Padovan), der unter den permanenten Streitigkeiten seiner Mutter und seines Stiefvaters zu leiden hat.

Die zahlreichen Seitenhiebe auf den unvorsichtigen Umgang mit Facebook und Co kommen meistens einen Tick zu grobschlächtig daher.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Bekannt aus der Serie «Gossip Girl»: Penn Badgley gibt in der Serie den Stalker.
Bekannt aus der Serie «Gossip Girl»: Penn Badgley gibt in der Serie den Stalker. © Netflix

Joe ist ein unbequemer, herausfordernder Zeitgenosse, entfaltet letztlich aber keine derart abgründige Faszination wie die Hauptfigur aus Jaume Balaguerós Schocker «Mientras duermes». Einem Film, der das Kunststück fertigbringt, sein Publikum so zu manipulieren, dass man mit dem im Zentrum stehenden Stalker regelrecht mitfiebert. In «You – Du wirst mich lieben» geht man doch etwas mehr auf Abstand, zumal die Serie ein wenig zu ausgiebig mit dem Stilmittel der Überzeichnung arbeitet.

Bestimmte Plot-Entwicklungen – Stichwort: Glaszelle – kündigen sich überdeutlich an. Joes Angebetete erscheint trotz überraschender Enthüllungen wie ein Klischee auf zwei Beinen. Ihre besten Freundinnen – besonders die masslos egoistische Peach (Shay Mitchell) – entpuppen sich als oberflächliche Glamour-Girls. Und auch die zahlreichen Seitenhiebe auf den unvorsichtigen Umgang mit Facebook und Co kommen meistens einen Tick zu grobschlächtig daher. Die Themen „Selbstdarstellung“, „Online-Verhalten“ und „MeToo“ spielen immer wieder eine Rolle. Klugen satirischen Biss entwickelt das Thriller-Format – zumindest in den ersten fünf vorab gezeigten Episoden – allerdings nur selten.

3 von 5 ★

«You – Du wirst mich lieben» ist ab dem 26. Dezember auf Netflix verfügbar.

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