Kritik2. Oktober 2017

«The Glass Castle»: Zwischen Zuneigung und Vernachlässigung

«The Glass Castle»: Zwischen Zuneigung und Vernachlässigung

Independent-Regisseur Destin Daniel Cretton (Short Term 12) inszeniert die Erlebnisse der Journalistin und Buchautorin Jeannette Walls als Familiendrama mit beklemmenden und glücklichen Momenten. Trotz überzeugender Darbietungen des prominenten Ensembles wirkt der Film mitunter etwas holzschnittartig und schematisch.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Hat mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen: Brie Larson als ehrgeizige Klatschkolumnistin Jeannette Walls.

Ende der Achtziger Jahre hat sich die Klatschkolumnistin Jeannette Walls (Brie Larson) in New York eine respektable Existenz aufgebaut. Zusammen mit ihrem Verlobten David (Max Greenfield), einem aufstrebenden Finanzberater, führt sie ein sorgenfreies Leben, das sie jedoch langsam zu hinterfragen beginnt, als sie eines Abends ihre Mutter Rose Mary (Naomi Watts) und ihren Vater Rex (Woody Harrelson) am Straßenrand im Müll herumwühlen sieht. Seit dieser zufälligen Begegnung wird die junge Frau immer häufiger von Erinnerungen an ihre alles andere als normale Kindheit heimgesucht. Und irgendwann ringt sie sich dazu durch, ihre entfremdeten Eltern zu besuchen und ihnen David vorzustellen.

Bereits 2005 veröffentlichte Jeannette Walls den Erlebnisbericht „The Glass Castle“, in dem sie das Aufwachsen in einer höchst unkonventionellen Familie beschreibt. Der Film führt dem Betrachter vor allem in den Rückblenden einen turbulenten Alltag vor Augen, der zwischen Abenteuerlust, echtem Zusammenhalt, Vernachlässigung und großer Ernüchterung changiert. Rex und Rose Mary zwingen ihren Kindern ständig Wohnortwechsel auf, haben regelmäßig Geldsorgen und treten ihre elterliche Verantwortung des Öfteren mit Füßen. Unübersehbar schon in einer frühen Szene, in der die kleine Jeannette (Chandler Head) allein am Herd herumhantiert und sich verbrennt, weil ihre Mutter lieber Bilder malt, anstatt auf ihre hungrige Tochter einzugehen.

Dass die Buchadaption immer wieder berührt, ist vor allem Charakterkopf Woody Harrelson zu verdanken, dem es vorzüglich gelingt, die verschiedenen Facetten seiner Figur auszuloten.

Ein Charakterkopf: Alleskönner Woodie Harrelson.

Sein Hauptaugenmerk legt Regisseur Destin Daniel Cretton auf die ambivalente Beziehung zwischen Jeannette und ihrem ungestümen Vater, dessen Alkoholsucht die Familie ein ums andere Mal auf eine harte Probe stellt. Zugleich zeichnet The Glass Castle Rex aber auch als einfühlsamen und fantasievollen Menschen, der sich gesellschaftlichen Zwängen bewusst entzieht und seinen Kindern den Wert von Freiheit und grenzenloser Neugier vermitteln will.

Dass die Buchadaption immer wieder berührt, ist vor allem Charakterkopf Woody Harrelson zu verdanken, dem es vorzüglich gelingt, die verschiedenen Facetten seiner Figur auszuloten. Auch seine starke Leistung kann allerdings nicht kaschieren, dass der Achtziger-Jahre-Strang etwas undifferenziert gerät und vor allem in der zweiten Hälfte spannende Nuancen vermissen lässt. Zu deutlich schickt sich hier das Drehbuch an, einen betont versöhnlichen Ausgang auf den Weg zu bringen.

The Glass Castle lief als Gala-Premiere am diesjährigen ZFF und ist ab Donnerstag, 5. Oktober regulär im Kino zu sehen.

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