Artikel18. März 2024

SXSW 2024: 5 Filmtipps vom South by Southwest Festival

SXSW 2024: 5 Filmtipps vom South by Southwest Festival
© JELEEL! – SXSW 2023 – Photo by Patrick Quiring

Auch in diesem Jahr besuchten wir das berühmte South by Southwest, kurz SXSW, das vom 8. bis 16. März 2024 in Texas stattfand. Neben den Film- und Serien-Highlights des Jahres bereicherten Diskussionen, Präsentationen und Musikauftritte das Programm. Wir haben dir Kritiken zu 5 der wichtigsten Filme des Festivals mitgebracht.

Kritiken von Teresa Vena

«Magpie»

Die schlaue Elster

Sam Yates | UK, 2024, 90 min.

© SXSW | Rob Baker Ashton

Ben (Shazad Latif) hat eine Schreibblockade. In der Ehe mit Annette (Daisy Ridley) fühlt er sich deswegen als Versager. Seine Frustration lässt er mit passiv-aggressivem Verhalten an seiner Frau aus, der er auch weitgehend die Verantwortung für ihr gemeinsames Neugeborenes überlässt. Selbst flüchtet er sich umso lieber zu den Dreharbeiten eines historischen Dramas, an dem ihre ältere, sechsjährige Tochter Matilda teilnimmt – aber auch die attraktive italienische Schauspielerin Alicia (Matilda Lutz). Annette sieht Ben eine Weile bei seiner Schwärmerei zu, bis ihr der Kragen platzt...

Die grosse Stärke dieses dicht inszenierten ersten Spielfilms des britischen Regisseurs Sam Yates ist der glaubwürdige Aufbau einer konsequent angespannten Atmosphäre. Dabei nutzt der Filmemacher insbesondere eine suggestive Filmmusik als Spezialeffekt. Den Rest übernimmt das Schauspieleri:innen-Ensemble mit einem präzisen, reduzierten Spiel. Die Hauptrolle in «Magpie» verkörpert Daisy Ridley, die bereits auf eine beachtliche Hollywood-Karriere blickt. Die Idee zur Geschichte stammt von ihr selbst. Und tatsächlich blüht sie als teils vernachlässigte, teils überforderte Mutter auf.

Die Figur lässt einen nur nach und nach an sich heran. Zu Beginn tendiert man dazu, dem Ehemann Ben zu glauben, Annette sei labil. Doch das ist eine Falle. Es ist eine gesellschaftliche Falle, die mit dem konservativen Bild einer Frau und Mutter lockt. Geschickt demontiert das Drehbuch den Charakter des Ehemanns, der von seinem anfänglichen Charme am Ende nichts mehr übrig hat.

«Magpie», auf Deutsch Elster, gelingt es, ein klug konstruierter Thriller zu sein und gleichzeitig Themen wie Mutterschaft, Machtgefälle zwischen den Geschlechtern und Loyalität, ohne belehrend zu wirken, aufzugreifen. Elstern haben den Ruf, besonders schlau zu sein, sie werden aber auch von glitzernden Dingen angezogen. Der Titel des Films lässt sich auf verschiedene Arten interpretieren. Eine davon ist, dass man, wenn man wirklich liebt, den Glanz des anderen nie aus den Augen verliert.

4 von 5 ★

«The Gutter»

Ur-Amerikanisches Verhalten

Isaiah Lester, Yassir Lester | USA, 2024, 90 min.

© SXSW

Walt (Shameik Moore) bewirbt sich um eine Stelle in einem Bowlingcenter. Mozell (Jackée Harry), die Besitzerin, gibt ihm eine Chance, auch wenn Walt, gelinde gesagt, unkonventionell ist. Etwas neues Leben kann ihm sowieso nicht schaden. Doch bevor es richtig losgehen kann, droht dem Bowlingcenter die Schliessung, wenn es nicht kostspielig renoviert wird. Wer hätte gedacht, dass gerade Walt sich als Bowling-Talent entpuppt? Gecoacht von Skunk (D'Arcy Carden) könnte er das nötige Kleingeld gewinnen.

«The Big Lebowski» der Coen-Brüder war nach seinem Erscheinen sofort Kult – und so noch bis heute. «The Gutter» hätte ebenfalls das Potenzial dazu. Nicht nur, weil der Film wie eine zeitgenössische Interpretation eines ähnlichen Themas ist, sondern dank der herrlich skurrilen und höchst sympathischen Figuren, die darin vorkommen.

«The Dude» heisst hier Walt aka Nygga Time. Er ist schwarz, selbstbewusst und ein Aussenseiter, der sich keine Mühe gibt, etwas daran zu ändern. In der ersten Szene des Films, im Vorstellungsgespräch mit Mozell, ist sein Charakter festgelegt. Mozell ist nicht gerade überrascht, wieso der junge Mann von all seinen bisherigen Chefs gekündigt wurde. Und das liegt nicht nur an seinem “originellen” Lebenslauf, den er mit seltsamen Piktogrammen versetzt hat. Walt ist schwer belehrbar, wenn es um die Anpassung an selbst einfache soziale Konventionen geht.

Dies nehmen sich die beiden Brüder Isaiah Lester und Yassir Lester genauso zum Vorbild. Es gibt kein unbequemes Thema rund um Sozialstatus und Abstammung, das sie nicht ansprechen. Dabei bewahren sie wie Seiltänzer das Gleichgewicht zwischen Wortwitz und Charakterkomik, zwischen schnellem Lacher und tiefgründiger Satire. Das Tüpfelchen auf dem i ist Susan Sarandon als gehässige, uramerikanische Spiesserin.

5 von 5 ★

«The Uninvited»

Je später der Abend, desto schöner die Gäste

Nadia Conners | USA, 2024, 97 min.

© IMDb

Rose (Elizabeth Reaser) und Sammy (Walton Goggins) richten eine Party in ihrem Haus in Los Angeles aus. Sammy ist Filmproduzent und nervös, weil zum Fest für seine Karriere wichtige Leute kommen werden. Er will, dass ihm Rose beisteht. Diese ist aber abgelenkt, denn plötzlich steht eine alte Frau, Helen (Lois Smith), vor der Tür, die offensichtlich verwirrt ist. Sie behauptet nämlich, dass sie in dem Haus wohne. Im Laufe des Abends gibt es immer mehr Hinweise dafür, dass Helen nicht ganz zufällig erschienen ist.

Die grosse Stärke von «The Uninvited» ist die strikte Wahrung von Raum und Zeit. Leider kann das Kammerspiel aber trotz schnellem Schnitt nicht über gewisse Längen hinwegtäuschen. Das hängt vor allem am Drehbuch, das arg trocken und schwerfällig wirkt. Es fällt schwer, mit den Figuren eine reale emotionale Verbindung aufzubauen. Das liegt nicht unbedingt an der schauspielerischen Leistung der einzelnen Darsteller:innen. Auch wenn Walton Goggins eher uninspiriert wirkt, gelingt es Elizabeth Reaser als Gegenpart, den Film zu beleben. Pedro Pascal hilft ihr dabei.

Es ist nicht zu übersehen, dass Regisseurin Nadia Conners den Stoff ursprünglich fürs Theater adaptieren wollte. Das Resultat ist eine Inszenierung, die etwas Steifes, Unbeholfenes hat. So richtig will auch der Humor, den Conners in die Dialoge zu verweben versucht, nicht greifen. Alles bleibt oberflächlich und schliesslich belanglos.

3 von 5 ★

«The Idea of You»

Verliebt in einen Popstar

Michael Showalter | USA, 2024, 115 min.

Solène (Anne Hathaway) wollte zum Zelten gehen, während ihr Ex-Mann die gemeinsame 16-jährige Tochter und ihre Freunde zum Konzert der Band «August Moon» begleitet. Doch Daniel sagt kurzfristig ab und Solène springt ein. Dort trifft sie auf Hayes (Nicholas Galitzine) einer der Sänger der Band und die beiden verlieben sich ineinander. Erst halten sie die Beziehung geheim, dann erfährt es die Öffentlichkeit, die den Altersunterschied der beiden sehr unterschiedlich aufnimmt.

Regisseur Michael Showalter adaptiert mit «The Idea of You» den erfolgreichen Roman von Robinne Lee. Produziert hat den Film Amazon, Anne Hathaway, die auch die weibliche Hauptrolle übernimmt, ist ebenfalls Produzentin. Die Schauspielerin von «Plötzlich Prinzessin» und «Der Teufel trägt Prada» ist definitiv erwachsen geworden. Doch der Versuch eines Plädoyers für das Liebesglück einer 40-jährigen Mutter ist missglückt. Das Drehbuch bewegt sich keine Spur über die erwarteten Klischees hinaus. Die Beziehung zwischen dem Liebespaar reduziert sich im Wesentlichen auf die sexuelle Ebene und körperliche Anziehung. Die Chemie zwischen Hathaway und Nicholas Galitzine spürt man trotz vieler Nahaufnahmen und kitschiger musikalischer Untermalung kaum.

Der Film, der übrigens viel zu lang geraten ist, verpasst die Chance, differenziert über Geschlechterrollen und Doppelmoral zu sprechen. Stattdessen wirkt er selbstverliebt und beliebig.

«American Fiction»

Identitätskrisen

Cord Jefferson | USA, 2024, 115 min.

Thelonious Ellison (Jeffrey Wright) alias Monk ist Literaturprofessor und selbst Autor. Nachdem sich eine Studentin über ihn beschwert, drängt man ihn zu einer Zwangspause. Es ist nicht das erste Mal, dass Monk mit seiner zynischen Art auf Unverständnis stösst. Er geht nach Boston zu einem Literaturfestival. Dort wohnt auch seine Familie, die er eher widerwillig besucht. Dann stirbt seine Schwester an einem Herzinfarkt und er muss sich um die an Alzheimer erkrankte Mutter kümmern.

«American Fiction» basiert auf dem Roman «Ausradiert» von Percival Everett und gewann in der Kategorie Bestes adaptiertes Drehbuch einen Oscar. Der Film erzählt die Geschichte einer Familie und die Geschichte der USA gleichzeitig. Die Hauptfigur stammt aus einem gutsituierten afroamerikanischen Elternhaus. Seine Schwester ist Ärztin, sein Bruder Schönheitschirurg, die Eltern besitzen ein Haus in der Innenstadt von Boston und eins an der Küste. Monk selbst ist Doktor der Literatur und angesehener Autor.

«Ich glaube nicht an Rasse», sagt Monk kurz bevor ein Taxifahrer ihn ignoriert, um einem weissen Mann den Vortritt zu geben. Zufall? Monk wehrt sich mit Händen und Füssen dagegen, als "schwarzer Autor” bezeichnet zu werden, doch die Vorurteile darüber, für welche Themen er sich entsprechend seiner ethnischen Herkunft interessieren sollte, halten sich hartnäckig. Als er dann als Witz ein Manuskript einreicht, das von Drogendealern und Bandenmitgliedern erzählt, reissen sich die Verlage darum. Das Herzstück des Films besteht darin, wie Monk sich eine Ghettosprache aneignen muss, um die weissen Besitzer des Verlages zu überzeugen, dass sein Stoff authentisch ist.

«American Fiction» zeigt, wie künstlich die Vorstellung sein kann, man verhalte sich “politisch korrekt”. Die Realität besteht aus viel mehr Nuancen, als sie von einer allgemeinen rhetorischen Praxis definiert werden könnte. Der Film ist ein einziges Waten von einem Fettnäpfchen ins nächste, ein Gehen auf rohen Eiern – wobei man einige auf dem Weg zertritt. Eine sogenannte Komfortzone gibt es nicht, auch keine Verschnaufpause. Dabei geht es nie darum, etwa eine bestimmte Bevölkerungsgruppe an den Pranger zu stellen. Vielmehr erreicht «American Fiction» einen derartigen Grad an Selbstkritik, den man auf so intelligente Weise lange nicht mehr gesehen hat. Sicher ist die Geschichte tief in der US-amerikanischen Realität verankert, doch sie hält unserer eigenen genauso den Spiegel vor. Antworten liefert der Film keine, aber viele unbequeme, aber auch, erstaunlicherweise, befreiende Fragestellungen.

5 von 5 ★

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