Artikel25. Juli 2023

Schöne neue Welt? – Unheimliche Zukunftsvisionen im Film

Schöne neue Welt? – Unheimliche Zukunftsvisionen im Film
© Netflix Switzerland

Filmeschaffende erforschen immer wieder die Frage, was die Zukunft bringen wird. Sie entwerfen futuristische Szenarien, die hinter vermeintlich positiven Systemen beängstigende Schattenseiten enthüllen. Ein aktuelles Beispiel ist die deutsche Netflix-Produktion «Paradise», in der ein Biotech-Unternehmen mithilfe einer bahnbrechenden Methode Lebenszeit von einer Person auf eine andere übertragen kann. Zeit für einen Deep Dive!

Von Christopher Diekhaus

Was die Zukunft bringen wird, weiss niemand mit absoluter Sicherheit. Trotzdem oder gerade deshalb befassen sich Filmemacher immer wieder mit eben dieser Frage. Wird es uns besser gehen? Hat die Menschheit eine Chance, weiter auf der Erde zu existieren? Bekommen wir die drängendsten Probleme der Gegenwart in den Griff? In der Tradition von Aldous Huxleys Romanklassiker «Schöne neue Welt» (1932), einer negativen Utopie über eine vollkommen durchstrukturierte Gesellschaft, entwerfen Autoren und Regisseure dabei auch futuristische Szenarien, die hinter einem vermeintlich positiven System beängstigende Schattenseiten offenlegen. Neuestes Beispiel dieser Science-Fiction-Spielart ist die deutsche Netflix-Produktion «Paradise», deren Start wir für einen kleinen Streifzug nutzen wollen.

Lebenszeit als Ware

Der Traum vom ewigen Leben, ein uraltes Sci-Fi-Motiv, scheint im Near-Future-Thriller «Paradise» ständig durch. Regisseur Boris Kunz und seine Koautoren Peter Kocyla und Simon Amberger servieren uns eine Geschichte, in der ein Biotech-Unternehmen mithilfe einer bahnbrechenden Methode Lebenszeit von einer Person auf eine andere übertragen kann. Profiteure dieses Verfahrens sind in erster Linie wohlhabende Menschen, die sich mit zusätzlichen Jahren eindecken.

Ärmere Mitbürger erhalten durch den Verkauf von Lebenszeit zwar Geld, sehen jedoch einem frühen Tod entgegen. Wie schnell die paradiesischen Zustände eines Mitglieds der begüterten Klasse vorbei sein können, erfährt der Protagonist, ein anfangs linientreuer Angestellter des Pharmariesen, am eigenen Leib. Nach einem verheerenden Wohnungsbrand müssen er und seine Frau auf einmal eine schwindelerregend hohe Schadenssumme begleichen. Da die Gattin ohne sein Wissen als Sicherheit mehrere Jahrzehnte Lebenszeit hinterlegt hat, altert sie plötzlich in Windeseile.

Wenngleich der Film irgendwann eine konventionelle Action-Nervenkitzel-Richtung einschlägt, schneidet «Paradise» mit dem Gefälle zwischen Ober- und Unterschicht, zerstörten Zukunftsplänen und der Allmacht der Konzerne spannende Aspekte an und wirft wichtige moralische Fragen auf.

Verfügbar ab Donnerstag auf Netflix

Ähnliche Ideen präsentiert Andrew Niccols «In Time». Die US-Produktion von 2011 skizziert eine Welt, in der Lebenszeit zur Währung geworden ist. Eine Genmanipulation, die Menschen schon mit Mitte 20 sterben lässt, schützt vor Überbevölkerung. Zusätzliche Zeit kann man allerdings als Arbeitslohn, durch Schenkung oder Diebstahl hinzugewinnen. Wie im Fall von «Paradise» sind die Reichen die Nutzniesser des Systems. Gegen sie begehrt ein von Justin Timberlake gespielter Ghetto-Bewohner auf, der die Tochter eines betuchten Bankiers als Geisel nimmt.

Verfügbar auf Amazon Prime und Disney+

Um eine begrenzte Lebensdauer dreht sich auch die Romanverfilmung «Flucht ins 23. Jahrhundert» (1976). In Michael Andersons Science-Fiction-Klassiker schirmt sich der Rest der Menschheit in gewaltigen Kuppeln vor einer angeblich unbewohnbaren Aussenwelt ab. Innerhalb dieses geschlossenen Raums sind Luxus und Vergnügen an der Tagesordnung. Jedoch nur bis zum 30. Lebensjahr. Danach steht eine sogenannte Erneuerung an, die in Wahrheit zum Tode führt. Die Lügen der vermeintlich so schönen Ordnung deckt ausgerechnet ein Mann auf, der all jene finden soll, die sich dem Sterberitual entziehen wollen. Tricktechnisch überzeugend gestaltet, setzt sich die Adaption kritisch mit Manipulation und Jugendwahn auseinander.

Verfügbar on Demand auf AppleTV+

Menschliche Körper als Experimentierfeld

Regelmässig in den Blick gerät im Science-Fiction-Kino auch die Perfektionierung und Erweiterung des menschlichen Körpers. 1997 legte der oben bereits erwähnte Andrew Niccol in diesem Zusammenhang eine echte Perle vor. «Gattaca» entführt uns in eine nicht allzu ferne Zukunft, in der per Genmanipulation erschaffene Menschen dominieren. Am Rande der neuen Hochleistungsgesellschaft stehen Personen wie die Hauptfigur Vincent (Ethan Hawke), die auf natürlichem Weg zur Welt kamen. Seinen Traum von einer Karriere als Astronaut scheint allerdings zum Greifen nahe, als er die Identität des querschnittsgelähmten Ex-Weltklassesportlers Jerome (Jude Law) annehmen darf.

Unaufgeregt erzählt und auf die Befindlichkeiten der Charaktere konzentriert, verhandelt der in ein retro-futuristisches Design getauchte Film die Frage, wie weit Medizin und Wissenschaft gehen dürfen. Wollen wir wirklich derart massiv in die Schöpfung eingreifen und in einer sterilen Retortenwelt leben? Obwohl Niccols von Wissenschaftlern gelobte Analyse erstaunlich differenziert ausfällt, vergisst der Regisseur nicht, die Zuschauer emotional mitzunehmen, und regt sie dadurch umso mehr zum Nachdenken an.

Verfügbar on Demand auf AppleTV+

Die Verschmelzung einer supersmarten Technik mit dem Körper eines Menschen spielt unter anderem Leigh Whannells «Upgrade» (2018) durch. Thematisch nicht sonderlich tiefschürfend, entfesselt der zackig inszenierte Actionthriller einen irrwitzigen Trip, auf dem der nach einem Überfall an den Rollstuhl gefesselte Protagonist mithilfe einer noch nicht zugelassenen, implantierten künstlichen Intelligenz Jagd auf die Mörder seiner Ehefrau macht. Bei aller Fixierung auf die knackigen Kampfchoreografien dockt die australisch- amerikanische Koproduktion an einen der grossen Diskussionskomplexe des Science-Fiction-Films an: die Angst vor einer komplett ausser Kontrolle geratenen Technik.

Verfügbar on Demand auf AppleTV+

Bestmögliche Sicherheit

Eine besondere Form der Mensch-Maschinen-Fusion beschreibt Paul Verhoevens wegen seiner Gewaltdarstellung kontrovers aufgenommener Zukunftsthriller «RoboCop» (1987). Im Zentrum stehtnhier ein Polizist, der nach seiner Tötung als Cyborg wiederaufersteht und in den Strassennkompromisslos aufräumt. Als er seine frühere Identität entdeckt, will er seine Mördernaufspüren, und enthüllt eine Verschwörung zwischen Sicherheitsapparat und einem Megakonzern.

Verfügbar on Demand auf AppleTV+

Der Traum von einer Welt ohne Verbrechen beschäftigt auch «Minority Report» (2002), Steven Spielbergs Verfilmung einer Kurzgeschichte des Science-Fiction-Kultautors Philip K. Dick. Tom Cruise verkörpertndarin einen leitenden Ermittler einer Spezialeinheit der Polizei von Washington D.C., die Morde vorhersehen und sie durch die Verhaftung der zukünftigen Täter verhindern kann. Unverhofft gerät der Cop plötzlich selbst ins Fadenkreuz und muss schnellstmöglich seine Unschuld beweisen.

Verfügbar on Demand auf AppleTV+

Ein weitgehend sicheres Leben garantiert in «Surrogates - Mein zweites Ich» (2009) die Fernsteuerung von Androiden, die ihren menschlichen Besitzern nachempfunden sind und alle Tätigkeiten ausserhalb des häuslichen Raumes übernehmen. Auch körperliche Mängel lassen sich so bestens verbergen. Als der Sohn des Erfinders der humanoiden Robotertechnik ermordet wird, stossen ein FBI-Agent und seine Kollegin auf eine Rebellengruppe. Jonathan Mostows Film macht aus seiner interessanten Grundidee unter dem Strich zu wenig, spricht sich aber deutlich für ein echtes Miteinander und gegen Isolierung, den kompletten Rückzug ins Private aus.

Verfügbar auf Disney+

Mensch als Datenlieferant

Beängstigend wirkt nicht zuletzt die Forderung nach umfassender Transparenz, die in «The Circle» (2017) nach Dave Eggers‘ gleichnamigem Bestseller zum Vorschein kommt. Zu sehen ist Emma Watson hier als eine etwas naive Mitarbeiterin eines gigantischen Internetkonzerns, der seine Nutzer am liebsten komplett durchleuchten würde. Erzählerisch und inszenatorisch fehlt es dem in der nahen Zukunft spielenden Thriller-Drama an Raffinesse. Thematisch hat die Romanadaption dennoch hohe Relevanz, wird das Verlangen nach Daten und Informationen, von dem Tech-Riesen wie Google, Meta und Amazon in der Realität besessen sind, doch anschaulich zugespitzt.

Verfügbar auf AppleTV+

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