Kritik26. September 2018

Netflix-Tipp: Die Doku «Quincy» über einen Lebemann und Visionär

Netflix-Tipp: Die Doku «Quincy» über einen Lebemann und Visionär
© Netflix

Kaum einer hat die schwarze Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts in Amerika so geprägt wie er: Die Rede ist vom unermüdlichen Multitalent Quincy Jones, der in der neuesten Netflix-Dokumentation von seinem bewegten Leben erzählt.

Vom Ghetto ins Rampenlicht

Michael Jackson, Frank Sinatra, Ray Charles: Was sich anhört wie eine Allstar-Band der ganz Grossen, sind alles Namen, mit denen Quincy Jones im Verlaufe seiner bewegten Karriere zusammengearbeitet hat. Die Dokumentation «Quincy» beschäftigt sich während 124 Minuten mit den unzähligen Errungenschaften des umtriebigen Künstlers, dessen Schaffen weit über die musikalischen Grenzen hinausgeht. Während der grossen Depression in Chicago 1933 geboren, durchlebte der junge Quincy eine harte Kindheit, die geprägt war von einem gewalttätigen Umfeld und familiären Problemen.

Doch seine Leidenschaft zur Musik brachte ihn aus dem Ghetto über Seattle nach New York, wo er sich in den 1950er-Jahren einen Namen in der ansässigen Jazzszene machte. Nachdem er sich in Paris in klassischer Musik weiterbildete, nahm seine Karriere endgültig Fahrt auf – fortan zählte er zu den gefragtesten Komponisten und Produzenten. Dabei liess sich Jones in seiner Kreativität nicht von irgendwelchen Genre-Begrenzungen eindämmen, sondern versuchte sich immer wieder an neuen Herausforderungen, wie zum Beispiel Musicals oder Filmmusik.

Unermüdlich und unbelehrbar

Doch das umtriebige Leben fordert auch seinen Tribut: Die drei Ehen von Quincy Jones gingen allesamt in die Brüche, und auch sein gesundheitlicher Zustand wurde über die Jahre immer wie schlechter, was einige Spitalaufenthalte und risikoreiche Operationen im Film dokumentieren. Der Altmeister zeigt sich jedoch unbelehrbar und jettet trotz Warnung der Ärzte weiterhin um den Globus, um seine Musik in die Welt hinauszutragen und sich in diversen Projekten zu engagieren.

Bei «Quincy» führte übrigens Jones' Tochter Rashida Regie, was auch erklärt, wieso es in der Dokumentation quasi keine Misstöne gegen den Künstler gibt. Entäuschungen und gescheiterte Partnerschaften werden zwar thematisiert, aber offensichtliche Probleme wie Jones' Untreue und sein Alkoholkonsum – den er im Verlaufe der Dokumentation zwar einstellt – nur am Rande angedeutet. Vielmehr zeigt ihn seine Tochter als geläuterten Familienmenschen, der immer einen charmanten Spruch auf Lager hat und auch von aktuellen Musikgrössen wie Dr. Dre oder Kendrick Lamar nichts als Bewunderung erntet.

© Netflix

Ein Vorreiter für die schwarze Kultur

Die Dokumentation begleitet Quincy Jones bei seinen aktuelleren Projekten, zeigt den mittlerweile 85-Jährigen aber auch während intimeren Momenten, in denen er sein Leben reflektiert. Auch einiges an Archivmaterial wurde für den Film zusammengetragen, welches von Quincy Jones oder seinen Weggefährten kommentiert wird, die aber im Film nicht direkt zu sehen sind. Die einzelnen Stationen in Jones' Leben werden jeweils etwas gar pflichtmässig abgehandelt, dabei hätten tiefere Einblicke, zum Beispiel in zwischenmenschliche Beziehungen, noch mehr interessiert. Nur das zwiegespaltene Verhältnis zu seiner Mutter wird umfassender thematisiert – diese litt an einer Geisterkrankheit und konnte darum nie für ihren Sohn da sein.

Die Schwierigkeit der Dokumentation gestaltet sich darin, das gesamte Schaffen des Workaholics Jones' auf nur zwei Stunden Film zu bannen – beinahe ein unmögliches Unterfangen. Trotzdem gelingt es, Jones' enormen Stellenwert für die Musikwelt und die schwarze Kultur in Amerika zu vermitteln. Spätestens, wenn zum Ende der Dokumentation Szenen der Eröffnung des von ihm mit initiierten Museums für afroamerikanische Geschichte gezeigt werden, in denen sämtliche Grössen aus der schwarzen Show-Welt und sogar der damalige Präsident Barack Obama höchstpersönlich auftauchen, kriegt man ein Gefühl dafür, welch immensen Einfluss Quincy Jones hat.

3.5 von 5 ★

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