Kritik25. Mai 2020

Netflix-Serienkritik «Snowpiercer»: Per Zug durch die Eiszeit

Netflix-Serienkritik «Snowpiercer»: Per Zug durch die Eiszeit
© Netflix

Mit seinem ersten englischsprachigen Spielfilm «Snowpiercer» legte der diesjährige Oscar-Triumphator Bong Joon-ho («Parasite») 2013 einen furiosen Action- und Science-Fiction-Mix vor, der nun eine Serienneuinterpretation erhält. Während die Produktion in den USA beim Fernsehsender TNT zu sehen ist, wird sie in allen anderen Territorien (ausser China) von Streaming-Riese Netflix präsentiert.

Serienkritik von Christopher Diekhaus

Wie Bongs irrwitziger Postapokalypse-Kracher und die ihm zugrundeliegende Graphic Novel «Schneekreuzer» von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Jean-Marc Rochette entführt die Serie den Zuschauer in eine nahe Zukunft, in der die Welt nach einer menschenbefeuerten Klimakatastrophe von einer dicken Schnee- und Eisschicht bedeckt ist. Die wenigen Überlebenden haben sich in einen überdimensionalen Zug gerettet, der als eine Art Arche fungiert, von einem visionären Mann namens Mr. Wilford erbaut wurde und die Erde unaufhörlich umkreist.

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1001 nach Klassen unterteilte Wagons zählt das eigenartige Gefährt, an dessen Spitze die Superreichen im Luxus residieren, während am Ende, dem sogenannten Tail, die Armen unter unwürdigen Bedingungen hausen. Eben dort, im verdreckten, stickigen Abschnitt der Entrechteten, brauen sich zu Beginn neue Revolutionsgedanken zusammen, wobei sich Andre Layton (Daveed Diggs), anders als einige Mitstreiter, für ein planvolles Vorgehen starkmacht.

Die TV-Fassung setzt entgegen dem zugrundeliegenden Original auf Entschleunigung.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Hospitalitätsleiterin Melanie Cavill (Jennifer Connelly), die für die Ordnung an Bord verantwortlich ist und als Sprachrohr des öffentlichkeitsscheuen Mr. Wilford auftritt, wendet sich plötzlich mit einer überraschenden Bitte an Layton. Nach dem Auffinden einer verstümmelten Leiche soll der frühere Mordermittler helfen, den Täter schnellstmöglich aufzuspüren, um Unruhe unter den Reisenden im Keim zu ersticken.

Bong Joon-ho lieferte mit seiner Graphic-Novel-Adaption ein beklemmend-intensives Klassenkampfszenario ab, das dank adrenalingetränkter Action auf engstem Raum und spektakulärer visueller Einfälle mitzureissen wusste. Die TV-Fassung, deren erste Staffel zehn Folgen umfasst, von denen für diese Kritik fünf gesichtet wurden, setzt auf mehr Entschleunigung und lässt sich als «Mord im Orient Express» mit dystopischem Anstrich beschreiben.

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Die Grundidee bietet zweifellos allerhand Potenzial für aufregende Eskalationen und gesellschaftskritische Spitzen. In die Gänge kommt die von Josh Friedman und Graeme Manson kreierte Serie, die eine turbulente Entstehungsgeschichte hinter sich hat, allerdings nur mühsam. Laytons Suche nach dem Killer fehlt es an Dringlichkeit, um eine Sogwirkung zu entfalten. Und die Verknüpfung der unterschiedlichen Stränge, der Wechsel zwischen Vorder-, Mittel- und Endabschnitt des Zuges, gerät mitunter zu holprig.

Die Episoden eins bis vier bebildern einen mässig involvierenden Krimiplot, dessen aufgeheizte Atmosphäre nicht an die fiebrig-brodelnde Stimmung der Filmversion heranreicht. Vorhalten muss man den Machern vor allem, dass die zentralen Figuren nach dem Start zu blass bleiben. Charakterzüge und Hintergründe werden häufig bloss angerissen, was dem Interesse nicht gerade zuträglich ist. Einzig bei Ordnungshüterin Cavill tritt schon früh ein brisantes Geheimnis zu Tage, das handfeste Konflikte verspricht.

Erst nach der Hälfte der Episoden wird es packend.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Einen echten Schub an Dramatik bekommt die bereits vorab um eine zweite Staffel verlängerte «Snowpiercer»-Serie erst in Folge fünf, in der sich vieles um einen Gerichtsprozess dreht, der die sozialen Spannungen und die Ungerechtigkeiten innerhalb der nie stillstehenden Arche deutlich auf den Punkt bringt. Nach der Hälfte könnte es also durchaus packender werden. Vergessen machen würde dies den schleppenden Anlauf aber nicht.

2.5 von 5 ★

Die erste Folge von «Snowpiercer» ist ab sofort auf Netflix verfügbar, danach folgt jeweils montags eine neue Folge.

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