Kritik19. September 2023

Netflix-Kritik: «El Conde»: Diktator Pinochet auf den Spuren Draculas

Netflix-Kritik: «El Conde»: Diktator Pinochet auf den Spuren Draculas
© Netflix

Zum fünften Mal in seiner Karriere hat der Chilene Pablo Larraín im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig einen neuen Film vorgestellt: diesmal eine schwarze Komödie, in der uns General Pinochet als Vampir gezeigt wird. Wir werfen einen Blick auf «El Conde», der jetzt auf Netflix zu sehen ist.

von Damien Brodard

Augusto Pinochet (Jaime Vadell) ist ein lebensmüder, 250 Jahre alter Vampir. Erschöpft von den Jahren an der Spitze Chiles und zusätzlich aus Verdruss über das Bild, das die Welt von ihm hat, beschliesst «Der Graf» – zum einen die Übersetzung des Titel ins Deutsche, aber auch der Name, mit dem Pinochet sich von seinen Untergebenen anreden lässt – seinen Tod vorzutäuschen und für immer zu verschwinden. Die Habgier seiner Familie und seiner Entourage drohen allerdings diesen Plan zu vereiteln und Pinochets grausame Verbrechen erneut ans Licht zu bringen.

Pablo Larraín ist ein Geschichtenerzähler. Wie in früheren Werken entscheidet sich der chilenische Regisseur dafür, eine historische Figur mithilfe märchenhafter Elemente auszuleuchten – und so ihr tatsächliches Wesen zu fassen. Neu ist allerdings, wie sehr er diesen Ansatz diesmal auf die Spitze treibt. Als bedrohlicher Schatten schwebt General Pinochet über Chile, saugt seine Bürger aus und korrumpiert die Gierigen. Mittels Satire und Fantasy will Larraín uns die tiefen Narben in der Geschichte seines Heimatlandes zeigen.

© Netflix

Wie in Larrains früheren Filmen «Jackie» (2017) oder «Spencer» (2022) versucht auch «El Conde» intellektuell zu sein. Im Gegensatz zu beiden sorgen die Fantastik und der allgegenwärtige schwarze Humor aber dafür, dass das neue Werk unterhaltsamer ist. Auch trotz dieses veränderten Tons erinnert Larraín an die zahlreichen Verbrechen des Diktators – teilweise auf Kosten von Tempo und einer flüssigen Erzählweise.

Die Stärke von «El Conde» ist nicht nur durch die originelle Grundidee, die noch einmal von der Spielfreude der Darstellenden unterstrichen wird. Auch bei der Inszenierung setzt der Regisseur all seine Erfahrung ein, um ein visuell atemberaubendes Werk zu schaffen. Die gespenstische, schwebende Kamera, die barocke Ausstattung, die fast schon ins Wahnhafte kippt, und natürlich die Kameraarbeit von Edward Lachman – kontrastreiche Schwarz-Weiss-Bilder, die an Klassiker des Horrors erinnern – machen den Film zu einem lohnenswerten Erlebnis.

Ein echter Pablo Larraín – und deswegen auch ein Film, der sein Publikum wahrscheinlich spalten wird. Die Ambivalenz der Schönheit der Bilder und der Bösartigkeit der Figuren hinterlassen aber so und so einen bleibenden Eindruck.

4 von 5 ★

«El Conde» ist seit dem 15. September bei Netflix

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