Artikel29. April 2022

Filmtagebuch: Trügerische Gemeinschaften – Sekten im Film

Filmtagebuch: Trügerische Gemeinschaften – Sekten im Film
© 20th Century Fox Switzerland

Geborgenheit empfinden, sich gut aufgehoben fühlen und einer glücklichen Zukunft entgegenblicken – das alles möchte wohl jeder. Erst recht in aufgewühlten, unsicheren Zeiten wie diesen. Zunutze machen sich die Ängste vieler Menschen und die Sehnsucht nach Halt seit jeher Sekten, obskure religiöse Gemeinschaften, die zum Teil sehr aggressiv mit dem ultimativen Seelenheil werben.

Christopher Diekhaus

Dass in derartigen, meistens autoritär geführten Gruppierungen hinter der schönen Fassade nicht selten Missbrauch und Gewalt lauern, offenbaren leider immer wieder schockierende Berichte in den Medien. Die Abgründe kultischer Gemeinschaften befeuerten und befeuern auch die Fantasie von Filmemachern, wie etwa Paul Thomas Andersons «The Master» aus dem Jahr 2012 beweist.

1. «Martha Marcy May Marlene» (2011)

Wer daran zweifelt, dass Elizabeth Olsen, die jüngere Schwester der Olsen-Zwillinge Ashley und Mary-Kate, eine talentierte Schauspielerin ist, sollte sich unbedingt Sean Durkins Spielfilmdebüt «Martha Marcy May Marlene» anschauen. Darin verkörpert der heutige Marvel-Star eine junge Frau namens Martha, die nach der Flucht aus einer dubiosen Gemeinschaft bei ihrer bürgerlichen Schwester Lucy (Sarah Paulson) und deren Ehemann Ted (Hugh Dancy) unterkommt und das Gefühl hat, verfolgt zu werden.

Präzise und unaufgeregt schildert das psychologische Thriller-Drama, welch tiefe Spuren das Leben in der an die berüchtigte Manson-Family erinnernden Kommune im Inneren der Protagonistin hinterlassen hat. Flirrende Rückblenden zeigen, dass sie anfangs glaubt, Anführer Patrick (John Hawkes) und die Gruppe könnten ihr eine neue Form der Geborgenheit bieten. Tatsächlich entpuppt sich das angeblich friedliche Miteinander jedoch als brutales patriarchales Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem. Schon die Tatsache, dass der Guru der Hauptfigur bei ihrer Ankunft einen neuen Namen verpasst, lässt keinen Zweifel an den Machtverhältnissen innerhalb der Sekte.

Regisseur Durkin wechselt elegant zwischen den Erzählebenen, lässt uns dank Olsens zurückgenommener, dennoch bewegender Performance in die gequälte Seele der Aussteigerin blicken und stellt in einem klugen Drehbuchschachzug den durch Normen und Regeln bestimmten Alltag im Ferienhaus der Schwester als eine andere, von Martha ebenfalls als bedrohlich empfundene Form der Einengung dar.

On Demand auf Disney Plus und On Demand auf Teleboy verfügbar.

2. «Mandy» (2018)

Nicolas Cage als Holzfäller, der sich an einem irren Sektenguru (Linus Roache) und dessen Anhängern für den brutalen Mord an seiner Freundin (Andrea Riseborough) auf nicht weniger grausame Weise rächen will – der Inhalt des Horrorthrillers «Mandy» scheint zunächst nicht überzeugend. Und doch kann man nur staunen.

Obwohl die Handlung in vertrauten Bahnen verläuft, keine grossen Überraschungen zu bieten hat, verwandelt Regisseur Panos Cosmatos seinen Vergeltungsreisser in einen bemerkenswerten Höllenritt. Knallige Farbenspiele, künstliche Lichtquellen, bedrohlich wummernde Klänge, ausgedehnte Zeitlupen und ein nach der Hälfte in den Berserkermodus wechselnder Hauptdarsteller produzieren eine unwirkliche, psychedelische Stimmung, die auch den Zuschauer in einen Trancezustand versetzt.

Das Ganze steht fraglos unter dem Motto «style over substance». Aber: Selten hat man in den letzten Jahren einen erzählerisch formelhaften Spannungsfilm gesehen, der optisch und akustisch derart aufregend daherkommt. In den Bildern kann man sich verlieren. Die Darstellung der Sekte ist herrlich abgedreht. Und Fans expressiver Auftritte von Cage kommen hier definitiv auf ihre Kosten.

On Demand auf Amazon Prime verfügbar.

3. «The Sacrament» (2013)

Den grauenhaften Massenselbstmord, den der Peoples-Temple-Anführer Jim Jones Ende der 1970er-Jahre anordnete, stellt Horrorspezialist Ti West in fiktionalisierter Form in seinem Schocker «The Sacrament» nach. Ein junger Mann namens Patrick (Kentucker Audley) macht sich hier zusammen mit zwei Kollegen (Joe Swanberg und AJ Bowen) des Lifestyle-Magazins VICE auf den Weg zu einer versteckt im Dschungel lebenden Gemeinschaft, in der seine einst drogenabhängige Schwester Caroline (Amy Seimetz) zu sich gefunden hat.

Im Sinn hat das Trio eine Dokumentation über den weltabgewandten Ort. Angekommen in der Kommune, die sozial ausgegrenzten Menschen ein Zuhause bietet, stossen die drei Besucher allerdings schon bald auf Ungereimtheiten und Irritationen. Gewiss kann und darf man darüber diskutieren, ob man ein schreckliches reales Ereignis wie das sogenannte Jonestown-Massaker als Grundlage für einen auf Spannung getrimmten, im Found-Footage-Gewand daherkommenden Unterhaltungsfilm nehmen sollte.

Ti West bemüht sich phasenweise aber durchaus, die Gründe der Sektenmitglieder für die Aufgabe ihrer alten Existenzen und ihren bedingungslosen Glauben an das von allen nur Vater genannte Oberhaupt (Gene Jones) zu erforschen. Besonders eine ausführliche Interviewszene im Mittelteil ruft Beklemmung hervor und veranschaulicht, wie der Personenkult innerhalb einer Sekte funktioniert. Die Autoritätsperson an der Spitze gibt sich oft als fürsorglicher, am Wohlergehen seiner Schäfchen interessierter Kümmerer, ist aber tatsächlich in erster Linie auf den eigenen Vorteil bedacht und nutzt die Ergebenheit schamlos aus.

On Demand auf Teleboy verfügbar.

Die Fortsetzung des Artikels findet ihr hier.

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