Kritik26. Februar 2021

Disney-Plus-Kritik: «Love, Victor»: Simon lässt grüssen

Disney-Plus-Kritik: «Love, Victor»: Simon lässt grüssen
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Die TV-Serie «Love, Victor», ein Spinoff des Films «Love, Simon», zeigt die Schwierigkeiten eines 17-jährigen High-School-Schülers, der mit seiner sexuellen Identität kämpft. Seine katholische Familie, die tief in der Latino-Kultur verwurzelt ist, scheint ein Coming-out fast unmöglich zu machen.

Serienkritik von Gaby Tscharner

Victor (Michael Cimino) ist ein 17-jähriger Latino, der mit seiner Familie in eine neue Stadt zieht. Mal abgesehen von der Schwierigkeit, sich in einem neuen Umfeld zu akklimatisieren, kämpft Victor schon seit einiger Zeit mit seiner sexuellen Identität und lebt in ständiger Angst, dass ihm seine konservativen Eltern auf die Schliche kommen. Victors High-School ist die, wo ein Jahr zuvor Simon (Nick Robinson) Furore machte, als er auf einem Riesenrad an Karneval vor allen Mitschülern einen Jungen küsste. Ein Coming-out, das für Victor unerreichbar scheint.

Eines sollte erst mal klargestellt werden: Romantische Komödien stellen nicht das wahre Leben dar!– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner

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Eines sollte erst mal klargestellt werden: Romantische Komödien stellen nicht das wahre Leben dar! Sie sind mehr oder weniger realistische Märchen, ob sie nun in einem heterosexuellen Umfeld stattfinden oder von einem homosexuellen Teenager in der High School handeln. Als jedoch vor zwei Jahren «Love, Simon» in die Kinos kam, heimste der Film vor allem aus der LGBTQ+-Community Kritik ein. Der Film stelle Simons Coming-out als zu unproblematisch dar.

Simon ist ein gutaussehender, privilegierter, junger Mann, der in einer progressiven Familie mit sehr verständnisvollen Eltern aufwächst. Er kann mit gängigen Schwulen-Klischees - wie einer Liebe für Musicals und auffallenden Klamotten - nichts anfangen und passt sich der heteronormativen Welt um sich herum an. Die Realität homosexueller Teenager ist selten so rosig.

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Als die Familie von Victor von heute auf morgen umzieht, werden er und seine Schwester Pilar (Isabella Ferreira) aus ihrem gewohnten Umfeld gezerrt und in eine neue Schule gesteckt. Während Pilar diese verabscheut, sieht es Victor als Neuanfang. Als er realisiert, dass er auf dieselbe Schule geht, in der Simon ein Jahr zuvor durch sein Outing zur Ikone wurde, hegt Victor Mut, dass an diesem neuen Ort Akzeptanz herrscht. Dennoch wird Victor seine Angst nicht komplett los, denn in seiner Welt des Latino-Machismo wird ein Coming-out viel schwieriger werden, als es für den privilegierten Simon war, der inzwischen in New York sein bestes Leben lebt. Grollend beschliesst Victor, Simon via Instagram zu kontaktieren und schreibt: «Ich will nur eines sagen... zum Teufel mit dir! Dafür dass du die perfekten, akzeptierenden Eltern hast und Freunde, die dich unterstützen. Denn für alle anderen ist es nicht so einfach.»

Zu Victors Überraschung kriegt er Antwort von Simon, der ihm einen ungewöhnlichen Rat gibt, was Victor dazu bringt, Mia (Rachel Hilson) zu daten. Er geniesst zwar die Zweisamkeit mit ihr, aber Victor realisiert schnell, dass er nur platonisch an ihr interessiert ist. Aber anstatt Mia zu sagen, dass er insgeheim ein Auge auf Benjie (George Sear) geworfen hat, führt er das Mädchen während Wochen an der Nase herum. Victor will sich zwar ein Herz fassen, aber dann stehen die Eheprobleme seiner Eltern, die Homophobie seiner Grosseltern oder seine eigene Feigheit immer im Weg eines Geständnisses.

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Die Verletzlichkeit, mit der Michael Cimino Victors Verwirrung und Angst darstellt, gibt dieser Figur zwar Tiefe und Menschlichkeit, aber trotz seiner guten Absichten verkommt «Love, Victor» zu einem massenkompatiblen Publikumsliebling, der Heteros nicht vor den Kopf stossen will. Die letzte Folge der Serie endet zwar mit einem mutigen Cliffhanger, der uns hoffen lässt, dass die zweite Staffel etwas mehr Ecken und Kanten hat und eine schwierigere Geschichte erzählt, in der viel auf dem Spiel steht, die Konflikte unüberwindbar scheinen und die Konsequenzen schmerzhaft sind. Wie im wahren Leben.

3 von 5 ★

Die 1. Staffel von «Love, Victor» läuft ab sofort auf Disney Plus.

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