LOMO - The Language of Many Others Deutschland 2017 – 101min.

Filmkritik

Am Abgrund des Blogs

Zurich Film Festival
Filmkritik: Zurich Film Festival

«Es gibt zwei Zustände im Leben: Bewusstlosigkeit oder Panik.» Hastig tippt Karl die Worte in sein Smartphone, lädt es in sekundenschnelle auf seinen Blog und wendet sich wieder dem Lehrer im Schulzimmer zu. Die Blogeinträge des 17-jährigen Karls beginnen mit solch harmlosen Aussagen übers Leben. Er versteckt sich dabei hinter dem Pseudonym «Lomo» – eine Abkürzung seines Blogtitels «The Language of many others». Im Gegensatz zu seiner Schwester Anna, die gerade an der Uni ihrer Träume angenommen wurde, hängt Karl ziellos im luftleeren Raum. Von seinen wohlhabenden Eltern kaum wahrgenommen, unterhält er sich lieber mit seinen Followern auf seinem (noch) anonymen Blog. Oder geht es dabei eher darum, diese zu unterhalten?

Kritik von Meret Mendelin im Rahmen des Watch and Write am ZFF 2017

Die Resonanz steigt auf jeden Fall erheblich, als Karl beginnt, heimlich gefilmte Handyvideos auf seinen Blog zu laden. Darin provoziert er etwa seine Eltern beim Abendessen mit der intimen Frage, ob sie noch Geschlechtsverkehr hätten. Mit dem Heraufladen dieser Familienszene ist die erste Grenze aus der Anonymität heraus, in die moralische Grauzone hinein überschritten. Das merkt auch der Vater, der ihm nun immerhin schreiend seine Aufmerksamkeit schenkt. Der Aufforderung den Blog offline zu nehmen, geht Karl jedoch nicht nach. Er hat jetzt so viele Follower wie noch nie.

Diese scheinen im Gegensatz zu seinem Umfeld immer erreichbar zu sein. Während die Mutter in ein Online Game vertieft am Küchentisch sitzt und der Vater sich nur um die Arbeit kümmert, wächst bei Karl die Langeweile. Mit dem Lehrer kann er auch nicht reden, obwohl dieser ein Ironmaiden T-Shirt trägt und selbst auf den wildesten Schülerpartys auftaucht. Den einzigen Funken Aufmerksamkeit bekommt Karl von der Klassenkameradin Doro, in die er sich schon bald verliebt. Als dies jedoch in die Brüche geht, flüchtet er sich verletzt zurück in seine Internetgemeinschaft. Und stellt aus Rache ein verhängnisvolles Video von seiner grossen Liebe online.

Ab diesem Zeitpunkt im Film beginnt Karl nicht nur die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren, sondern auch über das heraufgeladene Material im Blog und dessen Konsequenzen. Der Blog mit seinen Followern entwickelt schon bald eine bedrohliche Eigendynamik, die sich zunehmend auf Karls reales Leben auswirkt. Dabei geht es um hochaktuelle Themen wie rechtliche Grenzen und Persönlichkeitsschutz im Internet. Diese Möglichkeiten und Gefahren der Massenkommunikation werden im Film eindrücklich der Sprachlosigkeit eines sich findenden Jugendlichen entgegengestellt. Die Konflikte werden dabei von den Eltern ausgetragen, während Karl im Gegensatz zu seinen Blogaktivitäten in der Realität ziemlich passiv bleibt. Hervorragend verkörpert wird er vom Schauspieler Jonas Dassler, der für seine Rolle mit dem Götz-George- Nachwuchspreis geehrt wurde.

Man verzeiht dem Spielfilmdebüt von Julia Langhof die etwas klischierte Handlung durch die eindrückliche Darstellung der binären Welt. Denn mit dem Verschwimmen der digitalen und der realen Welt wird nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch gespielt: Die getippten Kommentare werden direkt über die liebevoll ins Lichtspiel getauchten Aufnahmen geblendet. Eine witzige Note bekommen die Blogkommentare, da sie in ziemlich authentisch wirkender Jugendsprache von verschiedenen Stimmen vorgelesen werden. Diese kippen jedoch schon bald ins Unheimliche, als sie langsam zu den Stimmen in Karls Kopf mutieren. Wohin sie ihn leiten würden, hätte er wohl niemals gedacht. In die Panik oder in die Bewusstlosigkeit?

03.04.2024

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