Wilde Unschuld Frankreich, Spanien, USA 2007 – 96min.

Filmkritik

Geschichten, die das Leben schreibt

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

Im preisgekrönten Roman von Natalie Robins und Steven M. L. Aronson "Sagave Grace" wurde eine Ansammlung von Klatsch und Tratsch über die tragische Lebensgeschichte der Familie Baekeland zu einem Roman verwoben. Diese Geschwätzigkeit und Sensationslust haftet der gleichnamigen Verfilmung von Tom Kalin noch immer an und stört damit die virtuos aufgebaute Atmosphäre des Films.

Tom Kalin scheint von Mythen der amerikanischen Kulturgeschichte angezogen zu sein. In seinem Erstling "Swoon" (1992) verfilmt er den berühmten Mordfall, in welchem sich zwei hochbegabte Studenten von Nietzsches Übermensch-Theorie inspirieren lassen und den perfekten Mord ausüben. In seinem zweiten Spielfilm "Savage Grace", widmet er sich nun der tragischen Lebensgeschichte von Barbara Daly (Julianne Moore), die sich als Starlet aus bescheidenen Verhältnissen in die millionenschwere Industriellenfamilie der Baekelands eingeheiratet hat.

Zu ihrem einzigen Sohn Tony (Eddie Redmayne) hegt sie ein übergriffiges bis inzestuöses Verhältnis. Tony wiederum wächst mit dem Dilemma auf, der intensiven Beziehung zu seiner Mutter zu entkommen und gleichzeitig seinem Vater (Stephen Dillane) nicht zu missfallen, dessen Zuwendung er sich so sehr wünscht. Die Homosexualität erweist sich dabei zunächst als effektives Mittel der Provokation, sichert ihm jedoch auch die Verachtung seines Vaters. Als dieser mit Tonys erster Freundin durchbrennt, wird dem Familiengefüge unwiderruflichen Schaden zugefügt. Barbara klammert sich noch mehr an ihren Sohn und schreckt sogar nicht davor zurück, Tony durch ihre eigene Verführungskraft von seiner Homosexualität zu befreien. Dieser zeigt immer stärkere Anzeichen einer Schizophrenie und sieht im Muttermord schliesslich die einzige Möglichkeit, sich von der erstickenden Beziehung zu befreien.

Mit einer subtilen und starken Bildgestaltung gelingt es Kalin ein Milieu zu kreieren, das von der erstickenden Atmosphäre der übergriffigen Beziehung zwischen Mutter und Sohn geprägt ist. Sie erzählt von den angestrengten Bemühungen Barbaras, sich in der Welt der Reichen und Berühmten Geltung zu verschaffen und davon wie nah nebeneinander Reichtum und Dekadenz stehen können. Dabei gibt Juliane Moore eine eindrückliche und starke Interpretation ab, und auch Shooting-Star Eddie Redmayne macht seine Sache als zerbrechlicher und gequälten Tony gut. Doch Kalin hat leider zu wenig Vertrauen in seine Bilder und Darsteller. Als ob die Ausgangslage der Tragödie durch oedipale Konfliktverhältnisse mit den möglichen Folgen, Homosexualität, Inzest und Muttermord nicht ohnehin den Charakter eines Lehrstücks der Psychoanalyse hätten. Doch Kalin übertreibt die freudianische Motivierung in den Details. So bekommt der Tabubruch der Vergewaltigung der Mutter ihres Sohnes einen voyeuristischen Anstrich und die empfindliche emphatische Milieustudie kippt in eine Freak-Show, die auf die Sensationslust der Vorführung menschlicher Abgründe abzielt.

21.07.2008

3

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Kommentare

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sibue

vor 15 Jahren

... scheint mir aber recht befremdlich... ebenso sonderbar und irreführend teilweise auch der cineman-kommentar zum film: z. b. «oedipale Konfliktverhältnisse mit den möglichen Folgen, Homosexualität, Inzest und Muttermord»... was soll denn das heissen? homosexualität als folge von ödipalen konflikten? ich dachte, über diese art von denken seien wir langsam hinaus? homosexualität als krankheit, störung, neurose, weiss-ich-was...? meine güte! als gäbs all sowas bei heterosexuellen nicht genauso - bloss, da hats dann «natürlich» nichts mit der ausrichtung der sexualität zu tun, oder...? bitte etwas mehr überlegen bei schreiben von solch pseudo-psychologischen betrachtungen - schnell werden vorurteile erneut gefestigt.Mehr anzeigen


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