The Road to Guantanamo Grossbritannien 2006 – 95min.

Filmkritik

Ein wahrer Albtraum

Simon Spiegel
Filmkritik: Simon Spiegel

Seit Jahren steht das amerikanische Gefängnis auf Guantánamo im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Nun erzählt Michael Winterbottom die Geschichte dreier Insassen.

Herbst 2001: Asif, ein junger Brite pakistanischer Herkunft, hat vor, sich in Pakistan zu verheiraten, und lässt seine Freunde Ruhel, Shafiq und Monir aus dem englischen Tipton nachkommen. In einer Mischung aus Abenteuerlust und dem Drang, der Bevölkerung zu helfen, beschliessen die vier Freunde, nach Afghanistan zu reisen, das nach den Anschlägen des 11. Septembers in den Mittelpunkt des Weltinteresses gerückt ist; der Beginn eines zweijährigen Albtraums. Während der Rückreise geraten sie in Kampfhandlungen und werden von der Nord­allianz festgenommen. Monir geht im allgemeinen Chaos verloren, und die drei anderen kommen nur mehr oder weniger zufällig lebend davon. Nach mehreren Wochen Haft unter erbärmlichen Bedingungen erscheint die vermeintliche Rettung in Gestalt amerikanischer Soldaten. Doch tatsächlich kommt alles nur noch schlimmer: Die drei werden als potenzielle Terroristen festgenommen und nach Guantánamo verfrachtet, in eine gesetzlose Zone, wo sich die Weltmacht USA von ihrer hässlichsten Seite zeigt.

Michael Winterbottoms und Mat Whitecross' Film, basierend auf wahren Begebenheiten, ist eine wütende Anklage gegen das Vorgehen der USA. Ein filmischer Schlag in die Magengrube, der über weite Strecken nur die sinnlosen Schikanen und Folterungen in den amerikanischen Gefangenenlagern zeigt. Oberstes Ziel ist es, die Gefangenen zu brechen, sie dazu zu bringen, alles zuzugeben. Allerdings: Die drei haben nichts zu gestehen, sie sind unschuldig, hatten nie Kontakt zu Terroristen. Ein kafkaesker Albtraum: Eingesperrt ohne Anklage für Vergehen, die sie nicht begangen haben, und was immer sie auch sagen, die Quälereien hören nie auf. Dass alle drei Alibis haben, wird ignoriert, Kontakt zur Aussenwelt gibt es nicht, die elementarsten rechtlichen Standards sind ausser Kraft gesetzt. Nach zwei Jahren kommen die drei endlich frei, Gründe werden nicht genannt, ein eigentlicher Freispruch oder gar eine Entschuldigung erfolgt nie.

Wie bereits in "Welcome to Sarajevo" mischt Winterbottom in seinem neusten Film gespielte Szenen mit echtem Nachrichtenmaterial und streut kurze Interviews mit dem echten Tipton-Trio dazwischen. Gefilmt wurde mit kleinem Budget auf Video, was dem Ganzen einen dokumentarischen Look verleiht und unterstreichen soll, dass hier nicht die Phantasie eines Drehbuchautors verfilmt wurde, sondern die brutale Wirklichkeit.

"The Road to Guantánamo", das sind 95 Minuten fast permanenter Quälerei, ein alles andere als angenehmes Kinoerlebnis. Als Anklage gegen die in jeder Hinsicht skandalöse Behandlung der drei erreicht der Film somit durchaus sein Ziel. Als politischer Kommentar zur Politik der USA insgesamt macht er es sich allerdings ein bisschen zu leicht. Dass die von Winterbottom und Whitecross erzählte Geschichte skandalös und jedes Rechtstaates unwürdig ist, dass Unschuldige nicht so behandelt werden dürfen, steht ausser Frage. Viel brisanter - und im Kontext der aktuellen Menschenrechtsdiskussion auch von grösserer Bedeutung - ist aber, ob das Vorgehen der USA bei echten Terroristen gerechtfertigt wäre. Im Fall des Tipton-Trios auf Menschenrechte zu pochen ist einiges leichter, als humane Behandlung für Terroristen zu fordern. So ist Winterbottoms Film - an der Berlinale mit dem Regiepreis ausgezeichnet - zwar ein eindringliches Dokument des Unrechts, vor den politisch und ethisch wirklich kontroversen Fragen schreckt er aber zurück.

10.11.2020

4

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Gelöschter Nutzer

vor 16 Jahren

Weder die Existenz des Gefangenenlagers in Guantanamo Bay noch die dortigen Zustände können in irgendeiner Form gerechtfertigt werden.... So weit, so gut...

Die Geschichte dieser Jungs, welche keinerlei plausible Gründe für ihren Trip nach Afghanistan darzulegen vermögen, ist hingegen nicht glaubhaft und steht hinter einem riesigen Fragezeichen.

Und dies macht den Film etwas einseitig.Mehr anzeigen


cineast2001

vor 17 Jahren

Dieser Film ist eine schallende Ohrfeige gegen den faschistoiden US-Öl- Imperiallismus.
Natürlich ist man erst versucht den Film als unglaubswürdig abzulehnen oder an ihm zu zweifeln, aber im Zusammenhang mit den Bildern im Foltergefängnis von "Abu Ghraib" und der Verschleppung und Folterung von unschuldigen Europäern durch die CIA bekommt dieser Film doch einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit.
Mit subtilen Mitteln schildert M. Winterbottom die Entführung und Folterung der sog. "Tipton Three" durch die faschistischen Kriegsverbrecher des derzeitigen Regimes unter "Baby Bush".
Der Film läßt den Kinogänger hilflos und ängstlich zurück.
Gewahr der Situation, das nicht einmal die Heimatländer auch nur einen Finger rühren ihre verschleppten Staatsangehörigen von den Amerikanern wieder zu bekommen.
Schließlich kann man das nächste unschuldige Entführungsopfer sein, das sich in den amerikanischen Konzentrationlagern von Guantanamo und Osteuropa wiederfindet!
Darüberhinaus zeigt der Film, das solche Methoden erst den Haß gebiert, den Amerika so sehr fürchtet

Ein Film nichts für schwache Nerven!Mehr anzeigen


zero2000

vor 17 Jahren

Die Verfilmung sah ich als durchschnittlich an. Jedoch ist der Inhalt dieses Filmes von ausserordentlich wichtiger Bedeutung. Es ekelt mich an zu Wissen, dass ein Land wie die USA im Jahre 2006 die Menschen in Guantanamo so Foltern, wie die Nazi die Juden vor 65 Jahren. Bleibt die Frage dürfen wir dann über die Nazis und über die Menschen die das zu dieser Zeit wussten und nichts taten Urteilen? Nein, denn mir geht es jetzt genauso. Ich weiss über dies bescheid und trotzdem kann ich nichts dagegen tun...Mehr anzeigen


Mehr Filmkritiken

Kung Fu Panda 4

Challengers - Rivalen

Civil War

Back to Black