Die Klavierspielerin Österreich, Frankreich, Deutschland, Polen 2001 – 131min.

Filmkritik

Pervers oder verzweifelt?

Filmkritik: Andrea Bleuler

Dunkle seelische Abgründe offenbaren sich, als eine vierzigjährige, ledige Klavierlehrerin von ihrem Schüler zum Objekt seiner Begierde erkoren wird. Das unbequeme Liebesdrama des Österreichers Michael Haneke ("Bennys Video") ist mit drei Auszeichnungen der grosse Gewinner des diesjährigen Filmfestivals von Cannes.

Die Klavierlehrerin Erika Kohut (Isabelle Huppert) hat ihre Pubertät verpasst: Mit vierzig lebt sie immer noch bei ihrer Mutter (Annie Girardot), die jederzeit alles über ihre Leibesfrucht wissen will - sie schlafen sogar im gleichen Bett. Äusserlich gibt sich die Tochter akademisch diszipliniert, doch die inneren Dämonen sind viel trivialer: Uneingestandene Phantasien treiben sie in erstohlenen Momenten in Peep-Shows, wo sie die Gerüche weggeworfener Papiertücher inhaliert. Mit derselben Miene quält sie tagsüber ihre unbegabten, bürgerlichen Schüler. Kläglich sind dagegen ihre Verteidigungsversuche gegenüber der Mutter, wenn sie, zu spät kommend, auf erniedrigende Weise gescholten wird. Als sich ihr charmanter Schüler Walter (Benoît Magimel) für das "Pièce de Résistance" in Faltenjupe und Rüschenbluse erhitzt, verliert Erika jegliche Würde. Sexualität kennt sie nur aus einer voyeuristischen Position, und Erfüllung kann sie sich lediglich in Form von ekstatischer Misshandlung vorstellen.

Michael Haneke ist eine grossartige Adaption von Elfriede Jelineks berüchtigtem Roman gelungen. Während auf der emotionalen Ebene Abgründiges erzählt wird, entscheidet sich Haneke für eine puristische Ästhetik im nüchternen Stil, die sehr viel Freiraum für die Erzählkünste der Schauspieler eröffnet. Die Geiselnahme seines Publikums vollzieht Haneke schliesslich, indem er es vor den Kopf stösst: Nur Handlungen werden gezeigt, aber keine Erklärungen abgegeben.

Wie schon Haneke’s frühere Werke setzt sich auch "La Pianiste" aus mehr oder weniger unerträglichen Situationen zusammen. Die einzige Waffe gegen diese andauernde Grausamkeit ist ein geniertes Lachen. Von einer neuen Hochkultur des Voyeurismus kann man allerdings nicht sprechen. Dafür ist die Beobachterposition viel zu unkomfortabel. Haneke selbst will eine "Persiflage des Melodrams" gemacht haben. Ironie ist bei Huppert allerdings nicht spürbar - allzu oft hat man sie als absolut glaubhafte Radikale und Subversive gesehen, so in "Merci pour le chocolat", "La Cérémonie" und in "La Dentellière". Mit ihrem starren Blick gelingt es ihr, dieses nicht ganz Greifbare zu vermitteln, das erschaudern lässt, eine Fähigkeit, die sie im Zusammenspiel mit ihren ebenso grandiosen Schauspielpartnern erneut perfektioniert. Der schwierig zu analysierende Humor ist es wohl, der dazu geführt hat, dass der Film auch als absolut krank bezeichnet worden ist - ein Urteil, das heutzutage erstaunt, zumal Huppert in ihrer Interpretation von Erika eindeutig von menschlichem Leiden und nicht von Perversion erzählt.

25.05.2021

5

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Kommentare

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movie world filip

vor 12 Jahren

Haneke & Huppert: sehr starke film - manchmal schrecklich aber gut


tuvock

vor 19 Jahren

Das einzige was ich diesem Film zu gute Heiße ist die Darstellung dieser Frau, die wirklich eine seltene Geschichte ist. Man sieht ja viele Frauenfilme, dieser hier war doch ein etwas anderes Werk, ein tiefsinniges, über das man nachdenken sollte. Nur wenn ich den Film nach 130 Min. betrachte kann ich nur sagen das es mir schnurzpiepegal ist was da wirklich wer so tut. Die Frau war krank, pervers, und hatte einen Hang zur Selbstzerstörung, der sicher auch von der Mutter ausging.

Kurz – Eine Frau, kein Freund, Liebe zur Klassik, haßt sich selbst, schlägt sich durchs Leben, sucht Liebe und Anerkennung, und will endlich Sex.

Fade langweilige seltene einschläfernde Frauenseelengeschichte.


41, 22 von 100Mehr anzeigen


chillipepper

vor 22 Jahren

total kranke Frau, total kranker Film


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