Article9. September 2023

Mythos oder Wirklichkeit? 7 Fakten zur Netflix-Serie «Painkiller»

Mythos oder Wirklichkeit? 7 Fakten zur Netflix-Serie «Painkiller»
© Netflix 2023

In den USA missbrauchen über 14 Millionen Menschen rezeptpflichtige Medikamente wie Oxycontin. Täglich sterben bis zu 145 Menschen an einem Medikament, das nur unter strikter Anweisung eines Arztes eingenommen werden sollte. In Amerika sind diese traurigen Fakten die Opioid-Krise genannt. Die Miniserie «Painkiller» ist eine fiktionalisierte Wiedergabe der Ursprünge der Opioid-Krise. Wir trennen für euch die Fakten von der Fiktion.

Artikel von Gaby Tscharner Patao

1. Wie grausam war Arthur Sackler wirklich?

In «Painkiller» wird Arthur Sackler, gespielt von Clark Gregg, als eine Art Doktor Frankenstein vorgestellt, der Geisteskrankheiten mit brutalen Prozeduren wie Lobotomien behandelt. Die Serie beschreibt Sackler aber auch als einen besseren Verkäufer als Arzt und deshalb sei er das erste Mitglied seiner Familie gewesen, das mit dem Aufkommen von Psychopharmaka und der Vermarktung rezeptpflichtiger Medikamente ein Vermögen verdient hat.

Arthur Sackler und seine Familienmitglieder waren oder sind existierende Personen. Arthur war Psychiater, der nach dem 2. Weltkrieg Patienten behandelte. Es ist aber unklar, ob er je selbst Lobotomien, ein medizinisches Verfahren, bei dem Nervenbahnen im Hirn durchtrennt werden, durchgeführt hat. Laut Patrick Radden Keefes Buch «Empire of Pain: The Secret History of the Sackler Dynasty», auf dem diese Netflix Serie zum Teil basiert, soll er die Elektroschock-Therapie gehasst haben und auch seine Brüder Mortimer und Raymond, beide Ärzte, sollen für Lobotomien wenig Nutzen gefunden haben. Als diese Prozedur in den 50er-Jahren als medizinische Barbarei abgestempelt und geistige Erkrankungen fortan mit Medikamenten behandelt wurden, haben die Brüder Sackler 1952 die Firma Purdue-Frederick gekauft, mit der sie ab 1980 Psychopharmaka vertrieben.

2. Edie Flowers - der fiktive Arm des Gesetzes

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Uzo Aduba spielt in «Painkiller» Edie Flowers, eine Ermittlerin der US-Staatsanwaltschaft. Sie kennt das Problem der Drogenabhängigkeit aus eigener Erfahrung, denn ihr Bruder ist ein süchtiger Crack-Dealer, der im Gefängnis sitzt. Edie ist wie besessen vom Gedanken, die Verantwortlichen der Opioid-Krise zur Verantwortung zu ziehen und für sie sind das die Mitglieder des Sackler-Clans.

Edie Flowers ist keine existierende Person. Sie ist die moralische Richtschnur der Serie und repräsentiert alle Betroffenen, die Purdue Pharma und dem Sackler-Clan vorwerfen, die Suchtgefahr von Oxycontin absichtlich heruntergespielt zu haben. Wie z.B. Maura Healy, die Justizministerin des Staates Massachusetts, der zu den Klägern gehört. Sie bezeichnet die Mitglieder der Sackler Familie als die Verantwortlichen für Sucht, Überdosen und Tod, die Millionen von Leben geschädigt hätten.

3. Der Süchtige von nebenan

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Glen Kryger (Taylor Kitsch) ist ein Kleinstadt-Automechaniker, der bei seiner Arbeit verunfallt und von seinem Arzt Oxycontin verschrieben bekommt. Er braucht bald eine höhere Dosis, um seine Rückenschmerzen ertragen und seine Sucht befriedigen zu können. Als ihm sein Sohn Tyler (Jack Mulhern) auf die Schliche kommt und seine Pillen versteckt, zeigt Glen schwere Entzugserscheinungen, die in Gewalt ausarten.

Wie Edie Flowers ist auch Glen Kryger eine fiktive Figur, die als Beispiel für die unzähligen durchschnittlichen US-Bürger steht, die wegen Oxycontin drogenabhängig wurden. Die Opioid-Epidemie plagt die USA seit mehr als 20 Jahren und hat zwischen 1999 und 2021 beinahe 280.000 Tote gefordert. Eine traurige Statistik, die aber die Familie Sackler zu einer der reichsten Familien der USA gemacht hat. Sie hat mit dem Verkauf von Oxycontin ein Vermögen von ca. 11 Milliarden Franken verdient.

4. Sind die Sacklers Drogendealer?

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Der Sackler-Clan wird in «Painkiller» dargestellt, als wäre er ein kolumbianisches Drogenkartell. Die Familienmitglieder leben in überschwänglichem Prunk und feiern exzessive Partys. Die Brüder Raymond (Sam Anderson) und Mortimer Sackler (John Rothman) hassen es, ständig in Arthurs Schatten zu stehen und nach dessen Tod streitet sich die Familie im Konferenzraum um seinen Nachlass.

Eric Newman, der Showrunner von «Painkiller», hat während Jahren an TV-Serien wie «Narcos» oder «Griselda» gearbeitet, die die Machenschaften von Drogenkartellen aufzeigen. Newman sieht Parallelen, aber auch einen Widerspruch zwischen kriminellen Drogenhändlern, die nie unehrlich darüber seien, was sie tun, und dieser Gruppe von Ärzten, die vorgibt, sich um das Wohlergehen der Menschen zu kümmern. Newman bezeichnet das als den grössten Betrug des öffentlichen Vertrauens in der Geschichte der Menschheit.

5. Sex sells - Purdues aufreizendes Verkaufsteam

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Mit blonden Pferdeschwänzen, engen Röcken und teuren Mittagessen verführen in «Painkiller» die hübschen Handelsvertreterinnen Britt (Dina Shihabi) und Shannon (West Duchovny) Stadt- und Landärzte und sorgen dafür, dass diese ihren Patienten genug Oxycontin verschreiben. Als Richard Sackler, Arthurs Nachfolger in Purdues Werbeabteilung, den Hals nicht voll genug kriegen kann, verlangt er von seinen Vertreterinnen, ihre Ärzte anzuhalten, Rezepte mit höheren Dosen von Oxycontin auszustellen.

Hier erlaubt sich «Painkiller» wohl die grösste Freiheit. Die Miniserie porträtiert die Handelsvertreterinnen als geldgierig, skrupellos und zu allem bereit, solange es zum Absatz von Oxycontin und ihrer Umsatzbeteiligung führt. Laut Regisseur Peter Berg sei das Erzählen dieser Geschichte aber derart wichtig, dass gewisse kreative Freiheiten gerechtfertigt seien. Das Thema ist so schwer, dass der Serie eine unterhaltende Komponente hinzugefügt werden musste. «Man muss sich das ansehen wollen», meinte Berg im Interview mit Netflix.com.

Die manipulativen Handelsvertreterinnen sind aber keine reine Erfindung der «Painkiller» Autoren Micah Fitzerman-Blue und Noah Harpster. 2018 sprach Carol Panara über ihre Erfahrungen bei Purdue Pharma mit CBS-News. Sie arbeitete ab 2008 als medizinische Vertreterin für den Pharmakonzern, der ihr vorschrieb, was sie auf die Frage der Suchtgefahr von Oxycontin zu antworten habe. Oxycontins Abhängigkeitsgefahr musste als «Pseudosucht» abgetan werden, die nur im Kopf des Patienten stattfinde. Purdue Pharma habe keine Recherchen oder Studien zur Verfügung gestellt, die diese Aussage unterstützt hätten. Und was wurde von Purdue für die Heilung dieser «Pseudosucht» verschrieben? «Eine höhere Dosis von Opioiden», gestand Panara.

6. Kuscheltier in Pillenform

Was überzeugt einen Arzt, Medikamente zu verschreiben? Laut «Painkiller» ist das ein Kuscheltier in Pillenform. Die Handelsvertreterinnen tauchen jeweils mit Präsenten bei ihren Ärzten auf, und der grösste Renner unter den Purdue Werbegeschenken ist eine blaue Plüschfigur in Pillenform, die, wie eine Schönheitskönigin, einen weissen Seidenschal über die nicht vorhandenen Schultern geschwungen hat, auf dem steht: «Oxycontin, 80mg». Die Höchstdosis des Medikaments.

Die Oxycontin Plüschpille war tatsächlich ein Bestandteil der Marketingstrategie von Purdue. Der Pharmakonzern hat seine gefährliche Schmerztablette mit diversen harmlosen Präsenten wie Schlapphüten, Armeesackmessern oder einem Stofftier Gorilla angepriesen. Aber der weitaus erfolgreichste Artikel war die blaue Plüschpille, die nach 2003 aber harsche Kritik des amerikanischen Bundesamts für Rechenschaftspflicht einstecken musste und schliesslich vom Markt genommen wurde. Heute gilt sie als Sammelobjekt und wird auf Auktionswebseiten versteigert und deren Besitz wird zelebriert.

7. Rudy Giuliani, der Anwalt des Sackler-Clans?

Netflix 2023

In «Painkiller» arbeitet Edie Flowers unermüdlich an einer Klage, die der Bundesstaatsanwalt gegen die Hersteller von Oxycontin einreichen kann. Zu Purdues Verteidigern gehört aber kein Geringerer als Rudy Giuliani, gespielt von Ned Van Zandt, der mit seinen Beziehungen, die damals schon bis ins Weisse Haus reichten, die US-Bundesstaatsanwaltschaft mit einem Vergleich in die Knie zwingt.

Rudy Giuliani war in den 80er-Jahren Staatsanwalt in New York, wo er Mafiabosse vor Gericht zog, bevor er in den 90er-Jahren zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde. 2002 gründete er seine eigene juristische Beratungsfirma, mit der er u.a. Purdue Pharma und die Familie Sackler vertrat. Obwohl Purdue Pharma strafrechtlich verurteilt wurde, die Suchtgefahr von Oxycontin heruntergespielt zu haben, erreichte Giuliani, dass weder ein Mitglied der Familie Sackler noch das obere Kader von Purdue Pharma Gefängnisstrafen absitzen mussten und die Firma das Opioid weiterhin vertreiben konnte.

«Painkiller» ist seit dem 10. August auf Netflix zu sehen.

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