Un homme pressé Frankreich 2018 – 100min.

Filmkritik

Sich ins Leben zurück buchstabieren

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Der Generaldirektor eines französischen Autokonzerns muss sich nach einem Schlaganfall neu orientieren: Eine Tragikomödie mit humorvollen Zwischentönen. Fabrice Luchini brilliert als sprachgewandter Schauspieler, der fast den gesamten Film hindurch souverän Kauderwelsch spricht.

Eigentlich müsste Alain Wapler nach dem frühen Tod seiner Frau wissen, dass die Zeit auf Erden kurz und wertvoll ist. Doch der CEO eines französischen Autokonzerns hetzt vom frühen Morgen bis spät nach Mitternacht seinen Terminen nach und findet weder für seine Tochter, geschweige denn für seinen Hund kaum je Zeit: Nachdem die Umsatzahlen jüngst eingebrochen sind, will er am nächsten Autosalon einen neuen Hybrid vorstellen und die Firma wieder auf Kurs bringen.

Doch dann erleidet Wapler einen Schlaganfall. Dank der Geistesgegenwart seines Chauffeurs landet er sofort im Krankenhaus. Nach eigenem Ermessen fühlt sich er nach einigen Tagen wieder putzmunter und möchte das zwischenzeitlich Versäumte sofort wieder wettmachen. Tatsächlich aber hat er Gedächtnislücken und braucht, um eigenständig durch den Alltag zu kommen, ein Notizbuch, in dem er Namen, Adressen und zu Erledigendes festhält.

Vor allem aber leidet er an einer Sprachstörung. Er spricht undeutlich, verwechselt Worte und bringt innerhalb einzelner Worte gar die Buchstabenreihenfolge durcheinander, so dass ausser der Logopädin Jeanne ihn kaum jemand versteht. Obwohl Wapler unter ihrer Anleitung flotte Fortschritte macht und sie ihn als persönlichen Coach zum Autosalon begleitet, ist es für ihn an der Zeit, seinen Posten zu räumen…

Un homme pressé basiert auf der Autobiografie des ehemaligen Airbus- und Citroën-Chefs Christian Streiff. Obwohl die Geschichte tragisch ist, hat Hervé Mimran diese mit leichter Hand inszeniert. Leider findet er dabei nicht ganz immer die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung. Vor allem gegen Ende, wenn Wapler auf Anregung seiner Tochter sich auf den Jakobsweg begibt, gerät die Tragikomödie immer stärker ins Fahrtwasser seichter Läuterungs- und Wohlfühl-Komödien.

Was nicht heisst, dass Un homme pressé nicht sehenswert ist, im Gegenteil. Fabrice Luchini, immer mal wieder in wortwitzigen französischen Komödien – etwa: Ma Loute und Alceste à bicyclette – anzutreffen, brilliert hier selbst in den schwierigsten Zungenbrecher-Szenen mit stupender Sprechgewandtheit. Und als kleine Warnung, nicht einfach immer nur nonstop durchs Leben zu hetzen, funktioniert Un homme pressé durchaus gut.

19.08.2019

3.5

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Kommentare

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jacqueline_born

vor 4 Jahren

Der Film zeichnet ein völlig falsches Bild von Aphasie und Logopädie. Seit meinen Schlaganfall vor 7 Jahren bin ich eine Aphasikerin.

Schon dass Alain von Anfang an die Buchstaben einer Reihe von Wörtern immer vertauscht oder neue Wörter erfindet, und er diesen Wörter einen neuen, komischen Sinn verleiht, aber für die Gesprächs¬partnern/innen doch noch verständlich ist, ohne ein Moment des Fragens, ist hirnrissig. Zum Beispiel sagt Alain „Bordell“ und meint dabei „Büro“. Alain macht eher den Eindruck eines dementen Kauzes. Eine normale "Aphasie-Karriere" fängt in der Regel mit Stummsein an.

Alain erwacht aus seinem dreitägigen Koma und hat gar keine Lähmungen. Sein Notizblock sieht aus, wie mit links geschrieben (krakelige Schrift), dabei funktioniert die rechte Hand tadellos. Ich singe in einen Chor für Aphasie mit, und da haben die Hälfte der Sänger/innen rechtsseitig gelähmte Arme und Beine, wenn sie nicht in Rollstuhl sitzen. (Rechtsseitige Lähmungen, weil das Sprachzentrum in der linken Gehirnhemisphäre liegt und mit dem Körper über Kreuz verknüpft ist.)

Alain findet sich nur mit einer Karte in Paris zurecht, aber auf den Jakobsweg geht es auch ohne Landkarte. Er macht mit der Logopädin (Alain: „Psychopath“) Jeanne Ausflüge in den Zoo, um fröhlich Tiernamen zu lernen. Logopädie ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die Hochs und Tiefs hat, und der Arbeitsort ist die Praxis/das Büro.

Ich sehe nicht den Sinn darin, als der Pfleger von Alain, Vincent, mit Alain in den Rollstuhl einen Wettlauf durch das Krankhaus veranstaltet. Das ist gefährlich für die anderen Patienten und Angestellte und ist gar nicht lustig.

Immerhin ist der Abspann gespickt mit lustigen Verwechslungen der Schreibweise der Funktionen im Film, so wie in den ganzen Film von Alain vorgemacht…Mehr anzeigen


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