Gräns Dänemark, Schweden 2018 – 111min.

Filmkritik

Geruchsintensiv

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

In Cannes mit dem Hauptpreis der Sektion «Un Certain Regard» ausgezeichnet und als schwedischer Beitrag für den Oscar eingereicht – Ali Abbasis unkonventionelle Aussenseitergeschichte Gräns eilt ein exzellenter Ruf voraus. Erfreulicherweise wird der zwischen Romanze, Drama, Krimi und düsterer Fabel pendelnde Genre-Mix diesem größtenteils gerecht.

Die Zollbeamtin Tina (Eva Melander) besitzt eine aussergewöhnliche Gabe, von der ihre Kollegen ungemein profitieren. Dank eines ausgeprägten Geruchssinns kann sie die Emotionen ihrer Mitmenschen zielsicher erspüren und zieht jeden Reisenden heraus, der unerlaubt Waren ins Land hineinschmuggeln will. Ihre feine Nase führt die Polizei sogar auf die Spur eines verborgen agierenden Kinderpornorings. Tinas innerer Kompass spielt allerdings verrückt, als sie an ihrem Arbeitsplatz dem geheimnisvollen Vore (Eero Milonoff) begegnet, dessen deformiertes Erscheinungsbild ihrem eigenen Antlitz ähnelt. Mehr und mehr fühlt sich die Grenzkontrolleurin zu dem Unbekannten hingezogen und staunt nicht schlecht, was sie schon bald über sich erfährt.

2016 legte der im Iran geborene Regisseur und Drehbuchautor Ali Abbasi mit dem Horrordrama Shelley seinen ersten abendfüllenden Spielfilm vor, der zwar stimmungsvoll geriet, dessen betonte Rätselhaftigkeit es dem Zuschauer aber nicht gerade einfach machte. Ähnlich verhält es sich nun auch mit der Adaption der von John Ajvide Lindqvist verfassten Kurzgeschichte «Gräns». Im Mittelpunkt steht eine höchst ungewöhnliche Hauptfigur, die aufgrund ihres grotesken Aussehens leicht ins Lächerliche hätte kippen können. Dem Film gelingt es jedoch erstaunlich gut, das Publikum behutsam in ihr Leben und ihre Gefühlswelt einzuführen und Tinas Verbindung zur Natur bildgewaltig zu unterstreichen. Da verschiedene Genre-Versatzstücke ineinandergreifen, düstere Szenen mit absurd-komischen verbunden werden und von Anfang an ein Mystery-Touch über dem Geschehen liegt, kann man lange Zeit nicht sagen, was genau Abbasi überhaupt erzählen will.

Eine markante Offenbarung, der ein bizarrer, intensiv gefilmter Liebesakt vorausgeht, bringt dann aber etwas Licht ins Dunkel und verleiht dem Ganzen eine kraftvoll-aufwühlende Note. Tinas Selbstverständnis wird plötzlich schwer erschüttert. Und damit ihre gesamte bisherige Existenz. Wie der Regisseur Spannungsmechanismen, Folklore-Elemente und Überlegungen zur Niedertracht des Menschen in die Identitätssuche seiner Protagonistin einbaut, ist auf seltsame Weise faszinierend, wäre ohne Melanders nuancierte Darbietung allerdings nur halb so mitreissend. Obwohl die Schauspielerin unter einer dicken Maske steckt, die sogar mit einer Oscar-Nominierung bedacht wurde, kommt Tinas Empfinden stets zum Vorschein und geht mehr als einmal tief unter die Haut.

20.02.2024

4

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Kommentare

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simon_claflin

vor 5 Jahren

sehr schräger film. kein schöner film. ekelerregend, verstörend, aber sicher prägnant. aber würde ihn mir kein zweites mal mehr antun.


bossablue

vor 5 Jahren

Unglaublich kraftvoll und archaisch.


martin.de

vor 5 Jahren

Talente (Filmemacher, Schauspieler) verschenkt an eine unglaublich abstossende Geschichte, in der ich keinen Sinn sehen kann - beim besten Willen nicht. Ein Märchen soll das sein? Was soll an Trollen faszinierend sein? Schrecklich.


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