Interview

Ruben Östlund: «Die Paarbeziehung ist ungesund»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Wenn die Skiferien im Paradies zur Hölle auf Erden werden: Ruben Östlund – mit «Turist» für Schweden im Rennen um den Auslandsoscar- über Katastrophen, Kontrolle und Küchenmesser.

Ruben Östlund: «Die Paarbeziehung ist ungesund»

«Ein seltsames Verhältnis zur Wahrheit» – Ruben Östlund, Regisseur.

Freche Töne, gleich zum Auftakt: Ihr Film spielt mitten im Winter, Sie untermalen ihn aber mit Antonio Vivaldis berühmtem «Sommergewitter» – und das erst noch in einer Akkordeon-Fassung.

(lacht) Ich höre in dem Stück den Kampf des Mannes, der mit aller Kraft versucht, die Kontrolle nicht zu verlieren. Wir haben ja eine solche Angst davor, die wahren Kräfte der Natur freizulassen. Das Beherrschen-Wollen des Wilden steckt tief in dieser Musik drin, finde ich.

Der wahre Sound des Films ist das beredte Schweigen eines Mannes, der nicht sagen kann, was war. Dass er nämlich – in Todesangst, immerhin – nur sich selbst in Sicherheit brachte, statt bei Frau und Kindern zu bleiben. Man könnte seine Sprachlosigkeit danach so verstehen: Er wäre allzu gern der Held dieser Geschichte gewesen, obwohl das niemand von ihm verlangt hatte, schon gar nicht die Frau: Sie will ja bloss, dass er zu der Blösse steht, die er sich gab?

Tomas steht für einen Typus Mann, so wie seine Gattin eine bestimmte Frau repräsentiert: Ich wollte sie durchaus holzschnittartig zeichnen, ein bisschen bourgeois, in ihren stereotypen Rollenbildern gefangen. Und doch scheint mir das Verhalten des Mannes glaubhaft. Wenn jemand dabei ist, seine Identität zu verlieren, kann das alles in Frage stellen; deswegen beginnt Tomas auch zu lügen. Er erinnert mich an den Kapitän der «Costa Concordia», der als erster von Bord seines sinkenden Schiffes ging, aber der ganzen Welt weismachen wollte, er sei ins Rettungsboot gefallen. Wobei ich Verständnis für jenen Moment habe, in dem man zu lügen beginnt. Ich glaube, wir sind stark in den Erwartungen gefangen, die man an uns heranträgt. Gerade, was das Mann-Sein angeht.

Lebt der Mann in einer untergegangenen Welt, und er hat es noch nicht bemerkt?

Wir leben in einer Gesellschaft, der jegliche Erfahrungen mit den menschlichen Überlebensinstinkten abhanden gekommen sind. Wenn ein Mann davonrennt und sich eben nicht schützend vor seine Familie stellt, hat auch die Frau ein gesellschaftliches Problem, weil sie sich für ihren Mann schämen muss. Wir unterschätzen, dass nicht nur in der muslimischen, sondern auch in unserer Kultur die «Ehre» nach wie vor eine grosse Rolle spielt: Der Mann soll sich doch bitte sehr für seine Familie opfern!

Normalerweise liegen unter einer Lawine Natur und – im Katastrophenfalle – Menschen begraben. In Ihrem Film ist es umgekehrt: Sie legt eisige Verhältnisse frei.

Ein befreundetes Paar hat das Gleiche in der Wärme Kolumbiens beim Einkaufen erlebt, als es in einem Kleiderladen hiess, man solle sich sofort in Sicherheit bringen. Zu diesem Zeitpunkt befand die Frau sich allein in einer Umkleidekabine, während der Mann sich in panischer Angst hinter den nächsten Ladentisch warf. Falscher Alarm, stellt sich heraus. Später im Hotel warf sie ihm vor, er habe sie im Stich gelassen. Worauf er fragte: «Bin ich Bruce Willis?» Nur ein Kind konnte diese Beziehung retten. (lacht)

Die schwedischen Männer werden nicht nur von ihren Nachbarn gerne als Opfer des Feminismus und ihrer politischen Überkorrektheit wegen belächelt. Wie sieht das der Schwede selbst?

Man kann sich leicht über uns lustig machen. Aber: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der wir alle gleich sein können, und daran ist gewiss nichts Falsches. Unsere politische Korrektheit ist das Bemühen, in eine bestimmte Richtung zu arbeiten. Das hat natürlich auch negative Folgen: Viele Leute haben eine solche Angst, zu ihren unkorrekten Seiten zu stehen, dass sie wie gelähmt sind.

Der in Schweden lebende norwegische Erfolgsautor Karl Ove Knausgard mockiert sich in seinem Roman «Lieben» darüber, dass man gewisse Dinge nicht mehr aussprechen dürfe. Dass Junkies auch mal klauen, zum Beispiel?

Stimmt schon: Wir wollen nicht sehen, wohin Armut führen kann. Aber das sagt eben auch etwas über unsere demokratische Gesellschaft aus: Wir hätten gern, dass wir alle gleich sind – aber wir sind es nicht. In Schweden ist es fast unmöglich, gesellschaftlich aufzusteigen; viel schwieriger jedenfalls als in Kanada, England oder in Amerika.

Sind solche «Denkverbote» ein idealer Nährboden für die extreme Rechte, die zuletzt auch im sozialdemokratischen Schweden stark zugelegt hat?

Den politischen Aufschwung der «Schwedischen Demokraten» haben wir nicht zuletzt den Medien zu verdanken, die sie mit zu viel und der falschen Aufmerksamkeit bedachten. Die Medien gehen ja immer davon aus, dass die Leute vernünftig denken und handeln. Ich hingegen glaube, die Leute ahmen vor allem nach. Wenn wir etwas in der Zeitung lesen, wird es zu einem Teil unseres Bewusstseins. Und wenn Rechtsextreme jeden Tag ein Thema in den Medien sind, werden sie plötzlich wählbar. Die Journalisten hätten besser die Werte hochgehalten, die uns wichtig sind. Solidarität etwa.

Mehr Scheidungen seien das Ziel Ihres Films, haben Sie unlängst in einem Interview verlauten lassen. Was haben Sie gegen die gute alte Ehe, Herr Östlund?

Dass man sich gegenseitig zu manipulieren beginnt. Sie kennen das Gefühl doch sicher auch? Man kommt aus einer Beziehung, und es fühlt sich an, als hätte man einen Schutzraum verlassen. Paare entwickeln ein seltsames Verhältnis zur Wahrheit. (lacht)

Sehen Sie die Zweierkiste als Auslaufmodell?

Mich hat die Idee der Familie und des Treu-Seins aus einer historischen Perspektive interessiert. Auf die Idee, ausserehelichen Sex zu verbieten, kamen wir erst, als es so etwas wie Eigentum gab. Weil wir wollen, dass unsere Kinder unser Land erben. Dafür mussten wir aber unsere Sexualität in den Griff kriegen. (lacht) Als die Menschen noch in grösseren familiären Zusammenhängen lebten, waren mehrere Erwachsene für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Dann hat uns die Industrialisierung in die Städte gedrängt, in winzige Wohnungen gesperrt und die Banden zur Grosseltern-Generation gekappt. Und um uns diesen neuen Lifestyle schmackhaft zu machen, reden wir uns heute ein: Das einzig Wichtige für Kinder sind Vater und Mutter. Ich halte das für sehr ungesund. Gleichzeitig drängt uns auch die Wirtschaft in die Vereinzelung hinein, weil sie den Konsum fördert. Eine einfache Rechnung: Eine Familie leistet sich in der Regel einen einzigen Fernseher. Gibt es mehr Single-Haushalte, werden mehr Fernseher verkauft.

Dieser Konsum-Logik stehen Sie aber kritisch gegenüber?

Ich sage nur: Die Befreiung des Individuums ist untrennbar mit ökonomischen Zwängen verbunden. Der einzige Grund, warum die Leute sich nicht scheiden lassen? Weil sie es sich nicht leisten können. (lacht) Und dabei bleibe ich: Die Paarbeziehung hat etwas sehr Ungesundes an sich. Wissen Sie übrigens, was die am häufigsten benützte Mordwaffe ist?

Verraten Sie's uns.

Das Brotmesser von Ikea, zumindest in Schweden. Das sagt auch viel über das Paarleben aus. (lacht)

11. November 2014

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