Interview

Volker Schlöndorff: «Bloss nicht eingreifen!»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Auf einen Whisky mit Altmeister Volker Schlöndorff, der in «Diplomatie» die Zerstörung von Paris verhindern lässt: der deutsche Oscar-Gewinner über Menschlichkeit, Max Frisch und Monokel.

Volker Schlöndorff: «Bloss nicht eingreifen!»

«Da, wo ich hingehe, brauche ich ihn nicht mehr.» Was macht eigentlich der Jaguar 420, Herr Schlöndorff, den Ihnen der damals todkranke Max Frisch nach dem Homo Faber-Dreh überliess?

Den werde ich, wenn ich am Sonntag nach Hause komme, als erstes aus der Garage holen, weil er dann schon wieder sechs Wochen gestanden hat. Das mag er gar nicht, er will bewegt werden. Mal sehen, wer länger durchhält – der Jaguar oder ich.

Frisch – aber auch Musil, Böll, Grass, Brecht oder Proust: Weshalb haben Sie sich so unermüdlich an den Grossen der Literaturgeschichte abgearbeitet?

Das war Schicksal. Als Filmer wollte ich natürlich auch meine Original-Drehbücher haben – wie jeder, der in der Zeit der Nouvelle Vague etwas auf sich hielt. Aber eines Tages fragte mich ein Freund: «Kennst du den Törless?» Und zu meinem Unglück ist mir der Film gelungen. (lacht) Ich habe dann immer wieder versucht, etwas anderes zu machen, das war aber immer nichts. Irgendwann sagte ich mir: Es ist vielleicht richtiger, man macht, was man kann. Und nicht das, was man will.

Warum soll man «Die Blechtrommel» oder «Eine Liebe von Swann» überhaupt verfilmen? Die Folge ist doch, dass diese dicken Klassiker erst recht nicht mehr gelesen werden.

Die Gefahr ist tatsächlich, dass die jungen Leute, inklusive meiner 22-jährigen Tochter, sich lieber die Kassette besorgen als das Buch. Andererseits halten Filme die Bücher am Leben, wie mir gerade die Schriftsteller immer bestätigten.

Immer? Sie flunkern.

Mit den lebenden Schriftstellern hatte ich immer gute Beziehungen, mit den Toten war es schwieriger. Mit Kleist und Proust bin ich nie so richtig warm geworden.

Ich habe gelesen, Sie wollten nie wieder einen Film über den 2. Weltkrieg drehen. Wie viel diplomatisches Geschick hat es gebraucht, um Sie in die Verfilmung von Diplomatie hineinzureden – einem Theaterstück, in dem ein schwedischer Diplomat den deutschen General Dietrich von Choltitz davon überzeugen will, Paris nicht dem Erdboden gleichzumachen, wie Hitler ihm angeordnet hatte?

Das war jetzt der letzte, ich nehme mir das auch heute vor Ihrem Mikrophon wieder vor. Aber manchmal schickt man halt das Prinzip zum Teufel. So war das auch in dem Falle: Da habe ich schnell gemerkt, ich bin eigentlich der ideale Regisseur dafür. Wenn ich das mal von aussen betrachte. (lacht)

Wenn es um Paris geht, wo Sie lange Jahre gelebt haben, werden Sie immer schwach.

Ich habe ja nie Filme über den 2. Weltkrieg in Jugoslawien oder Russland gedreht, sondern immer diese Frankreich-Filme. Das hat damit zu tun, wie ich als junger Mann nach Paris gekommen bin. Ich habe mir dieses Thema selbst ausgesucht, indem ich Französisch gelernt habe.

Im selben Jahre 1944, in dem Diplomatie spielt, verloren Sie Ihre Mutter in einem Küchenbrand. Da waren Sie gerade mal fünf Jahre alt. Ihre Autobiographie haben Sie geschrieben – wann ist die Zeit filmreif für Ihre eigene Geschichte?

Sie haben recht: Eigentlich müsste ich einen Film über mein Leben zwischen 1944 und 1946 oder 1948 machen. Aber ich weiss nicht, ob ich den Stoff in den Griff kriegen würde. Und ob nicht Edgar Reitz diesen Film schon gedreht hat.

Oder ob Sie erst den Schriftsteller finden müssten, der Ihnen Ihre Lebensgeschichte erzählt?

(lacht) Es gibt Leute, die müssen ihre eigenen Geschichten erzählen, die können gar nicht anders. Und es gibt solche, die nutzen ihre eigenen Erlebnisse, um die Geschichten von anderen lebendig werden zu lassen. Das ist einfach bei mir der Fall. Das sind einfach verschiedene Typen. Für mich war die spannendste Frage nie: Wer bin ich? Sondern: Wie leben die Anderen?

Eine Schlöndorff-Frage ist auch: Wie verhält sich jemand in einer auswegslosen Extremsituation?

Und hier: Wie kann man mit Argumenten Gewalt verhindern? Warum ist es nicht möglich, mit Vernunft, Einsicht und Menschlichkeit Konfliktsituationen anders als mit Gewalt zu lösen? Also: Wenn man Kriege schon nicht verhindern kann, wie kann man sie wenigstens beenden?

Hat der Mensch aus seiner kriegerischen Geschichte gelernt?

Bloss nicht eingreifen, kann ich aus meiner eigenen bescheidenen Erfahrungen nur sagen. War der Eingriff in Libyen im Rückblick so positiv? Vom Irak will man gar nicht erst sprechen. Gibt es nach 70 Jahren zwischen Israel und Palästina nicht vielleicht doch einen Weg, den Konflikt durch Verhandlungen zu beenden, oder wird da noch 30 Jahre lang weitergekämpft? Aber ich will ja nicht die Welt verändern. Ich will nur eine spannende Situation erklären.

Die Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft haben Sie aufgegeben?

Die Utopie springt mich jeden Morgen an. Man denke nur daran, was gerade in Ferguson passiert. Natürlich sind das alles Kriminelle, wenn man so will, oder potentielle Kriminelle. Aber weil sie kaum das Alphabet können! Warum sagt denn, verdammt nochmal, nicht mal endlich einer, wie enorm die Chancen-Ungleichheit ist? Ich habe vor 25 Jahren zwei schwarze Kinder in Louisiana so halb adoptiert – es ist hoffnungslos. Und trotzdem sage ich jedes Mal: Es müsste doch auch anders gehen! Das ist schon ein Impuls für meine Arbeit, ohne dass ich deswegen ein grosser Pädagoge oder Weltverbesserer wäre.

Zurück zu dem deutschen General, in dessen Händen das Schicksal von Paris liegt, der aber gleichzeitig auch seinen Tod und den seiner Familie vor Augen hat, wenn er sich Hitlers Befehl verweigert: Kann man sich angemessen in so eine Situation hineindenken, oder bleibt das immer auch eine Anmassung?

Es gibt immer unglaublich viel Material. «Dieser General scheint geradewegs einem Hollywood-Film entsprungen zu sein, inklusive Monokel und Arroganz», lautet der erste Satz im Befragungsprotokoll, das eine Art Billy Wilder geführt haben muss. Und die wurden alle ja auch abgehört. Wenn man sehr gut informiert ist, hat man auch wieder den Mut, Dinge zu erfinden.

Wie gross ist die Gefahr, dass man einen Dietrich von Choltitz letztlich weicher zeichnet als es wünschbar wäre? Ihr Film wird sein Bild für immer festschreiben.

Seine Familie sollte dankbar sein, dass jemand wie Nils Arestrup ihm so ein grandioses Denkmal da hinstellt. (lacht) Das hat aber mit der realen Figur sehr wenig zu tun.

Gleichwohl schneiden Sie – zu Anfang und am Ende – Archivmaterial in Ihren Film. Warum?

Was soll man sich die Mühe machen, solche Schlachtbilder zu inszenieren, wenn in die Theatralik plötzlich die Historie einzieht und ruft: «Hallo Leute, das war kein Theater, das ist passiert!» Ich hätte sogar das Bild von von Choltitz hineinschneiden können, wie er festgenommen wird. Aber das kommt einem dann in die Quere, weil man gerade den Schauspieler gesehen hat.

In der Regel spielen Deutsche Nazis, Sie haben von Choltitz mit dem Franzosen Nils Arestrup besetzt. Wie gut kommt so etwas in Deutschland an?

(lacht) Das war für mich eine ganz einfache Gleichung. Ich hatte Arestrup in «Un prophète» gesehen und selten vor einem Bösewicht so viel Angst gehabt. Der als deutscher General? Da läuft es einem ja schon zum Vorneherein eiskalt den Rücken herunter. Kein deutscher Schauspieler würde es ja wagen, so vorbehaltlos in gewisse Kerben zu hauen wie Arestrup.

Sie kommen eben aus New York, heute sind Sie in Zürich, morgen in Wien: Wohin geht Ihre filmische Reise als nächstes? Man munkelt, Sie stehen mit «Montauk» vor der nächsten Frisch-Verfilmung.

Ich habe mit dem irischen Schriftsteller Colm Toibin ein Drehbuch geschrieben, das nur die Ausgangssituation von Frischs Erzählung aufnimmt: Ein deutschsprachiger Schriftsteller kommt nach New York, um ein Buch vorzustellen. Seine Frau ist vorausgefahren. Und jetzt abweichend von Frisch: Er trifft eine ehemalige Geliebte, die grosse Liebe, die er versäumt hat, und mit der fährt er nach Montauk. Aber ob ich je einen Produzenten dafür finde – keine Ahnung. Alle Geschichten, die die Figuren erlebt haben, werden nur erzählt.

Dann wird es zumindest nicht allzu teuer.

Verschiedene sehr gute Schauspieler interessieren sich dafür! (lacht)

28. August 2014

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