Fish & Cat Iran 2013 – 134min.

Filmkritik

Poesie eines potentiellen Verbrechens

Filmkritik: Eduard Ulrich

Spätestens seit dem internationalen Erfolg von Die Trennung hat der Iran einen Platz auf der Landkarte des Filmschaffens. Trotzdem ist es eine kleine Sensation, dass der 1977 geborene Shahram Mokri mit seinem zweiten Spielfilm technisches Neuland betritt und ein Kunstwerk vorlegt, das sowohl formal als auch inhaltlich überzeugt und überrascht. Meister Mahmoud Kalari an der Kamera trug wesentlich dazu bei, dass dieses angedeutete Kriminaldrama mit seiner tollen Darstellerleistung schon einige internationale Preise einheimsen konnte.

Kann man einen einigermaßen komplexen Film von mehr als zwei Stunden Dauer in einem einzigen Zuge drehen? Alle DarstellerInnen sind also an ihren Plätzen, der Kameramann setzt die Kamera an, der Regisseur schreit "Action!" und dann rollt eine vertrackte Choreographie los, die erst nach den anvisierten mehr als zwei Stunden ausläuft, wenn der Kameramann erschöpft seine Arme sinken lässt und sein Auge vom Okular nimmt. So ähnlich muss man sich den Dreh vorstellen, den sich Shahram Mokri und seine Mitdrehbuchautorin Nasim Ahmadpoor ausgeheckt haben, um ihre höchst originelle Idee umzusetzen.

Oft krankt eine technische Pionierleistung an der Substanz, nicht so hier. Inspirationsquellen waren unter anderem eine schreckliche Geschichte, die sich vor Jahren im Iran zugetragen haben soll, die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und die Bilder von M.C. Escher - speziell jene mit optischen Täuschungen. Um einen kleinen See sammeln sich Studenten alljährlich zum Wettbewerb des Drachensteigenlassens. Im Jahr davor ist eine Studentin unter ungeklärten Umständen verschwunden, doch dieses Jahr scheint das vergessen. Nach und nach treffen alle ein und bereiten sich auf den Abend vor.

Mit einfachen Mitteln wie den typisch unheilverkündenden Klängen auf der Tonspur wird eine latent bedrohliche Atmosphäre geschaffen. Die Meisterschaft der Konstruktion liegt aber im örtlich zirkulären Ablauf, der es ermöglicht, bruchlos an vergangene Zeitpunkte anzuknüpfen. Das Geschehen springt so ohne Schnitt manchmal in der Zeit zurück, was anfangs verwirrt, aber doch rasch und leicht verstanden werden kann, da immer wieder zeitliche Anhaltspunkte wie beispielsweise zu schlachtende oder bereits geschlachtete Hühner oder einfach zu identifizierende Dialogteile geboten werden.

Diese kleinen Denk- und Beobachtungsaufgaben machen richtig Spaß, und so ist man sowohl geistig angeregt mit der aktuellen Handlung beschäftigt als auch emotional gefesselt durch die möglicherweise eintretende Katastrophe. Es ist deshalb sehr schade, dass der Verleih dem einzigartigen Werk keine adäquate Untertitelung spendiert hat.

15.01.2015

4

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 9 Jahren

Grauen, ohne das Grauen zu zeigen. Obtrotz: die Hälfte des Publikus verliess den Saal, und am Anfang war mir auch eher unwohl.


G*L*N*F

vor 9 Jahren

Ein faszinierender Film. Ohne wirklich die Handlung im Detail entschlüsseln zu können (ich hatte aber auch nie das Gefühl dies zu müssen) bietet Fish & Cat einen schönen und berührenden Trip in die Welt einiger Jugendlicher und Erwachsener welche sowohl mitten im Facebookzeitalter stehen wie auch von der Welt völlig abgeschottet sind. Für den Film eigentlich unwichtig aber doch verblüffend war für mich auch, wie weit Handlung und Erzählweise von geläufigen Ideen und (Vor-) Urteilen über den Iran entfernt sind. Toll, dass das Houdini solche Filme zeigt!Mehr anzeigen


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