Interview

Bettina Oberli: «Die richtigen Signale geben»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Sie rede nicht gerne über ihren eigenen Film, sagt sie, tut es zum Glück aber trotzdem. Sogar ausführlich: Bettina Oberli über falsche Erwartungen, feine Ironie und Löcher in Socken.

Bettina Oberli: «Die richtigen Signale geben»

Wie gut sind Sie eigentlich noch auf Ihre Herbstzeitlosen zu sprechen?

Ich werde wohl immer an diesem Film gemessen werden. Ich habe aber nicht «Herbstzeitlosen 2» gedreht. Aber es wird bestimmt hier und da genüsslich kolportiert werden, wenn «Louise» nicht dieselben Zahlen macht wie die Herbstzeitlosen, deren Erfolg eine absolute Ausnahme war, wie man weiss. Den neuen Film am Erfolg des alten zu messen ist halt recht simpel. Aber das muss mir egal sein, sonst hätte ich danach aufhören müssen, Filme zu drehen. Ich kann damit leben, dass man meine Filme miteinander vergleicht, und ich freue mich immer noch darüber, dass mir Herbstzeitlosen damals so viele Türen geöffnet hat.

Woher rührt Ihre Liebe zu den alten Damen, die im Kino ja nicht gerade übervertreten sind?

Es gibt ja jetzt immer mehr solche Filme. Was nur logisch ist: Das ist ja eine Generation, die tatsächlich ins Kino gehen kann. Sie haben Zeit und oftmals Geld und sind kulturell interessiert. Ich habe manchmal das Gefühl, die Älteren sind öfter im Kino als Leute in meinem Alter.

Sie denken aber kaum in Marktlücken, wenn Sie einen Film planen?

Nein, ich denke vor allem: Worüber und wie will ich etwas erzählen, wo habe ich vielleicht etwas zu sagen? Und Lovely Louise ist ja aus der Perspektive des Sohnes erzählt. Die ältere Dame verkörpert vor allem sein Problem.

Ein Taxifahrer um die 50, der nicht von seiner Mutter loskommt. Obwohl sie sich von ihm durchs Leben tragen lässt, weil sie ihm das Gefühl gibt, er sei Schuld daran, dass sie es als Schauspielerin nicht schaffte.

Ich wollte erzählen, was Eltern ihren Kindern antun können – auf zugleich komische und tragische Weise. Vielleicht ist das auch ein Film über abwesende Väter. Wie erzieht man seine Kinder? Macht man das gemeinsam oder nicht? Das stand am Anfang. Und dann war da auch der Gedanke, etwas über die Sehnsucht nach Verbindung und das gleichzeitige Bedürfnis nach Selbständigkeit zu erzählen. Das Thema zieht sich durch alle meine Filme.

Thema dieses Films sind auch die Lebenslügen. Dieses: «Ich hätte die nächste Garbo sein können», wie Louise ihren Freundinnen immer wieder erzählt. Was sind die Dinge, die Sie selber sich vormachen?

Meine Filme speisen sich sicher auch aus meinem Leben. Aber bis jetzt habe ich immer Filme gedreht, die auch eine gewisse Distanz zu mir haben. Wenn ich Sängerin wäre, würde ich kaum Lieder über mich schreiben. Die Kunst ist ja eine gute Möglichkeit, ein anderes Leben zu leben, eine andere Perspektive einzunehmen.

Ein Hingucker: Da ist gleich zu Beginn diese fast comic-hafte Initiale, die den ironischen Grundton des Films festlegt.

Ja, der Film ist kein Psychodrama. Und auch keine zackige Komödie. Das ist doch schon beim ersten Bild klar. Für Lovely Louise hat uns ein lakonisch-skurriler Grundton wie zum Beispiel bei gewissen skandinavischen Filmen vorgeschwebt. Es wird wenig gesprochen, dafür soll das Medium Film genutzt werden. Man kann Humor auch über Bilder transportieren. Über den Schnitt. Den Rhythmus.

Diese Bilder: Allesamt Tableaus von erlesener Schönheit, die einen sofort gefangen nehmen – in der aber auch die Figuren wie gefangen scheinen. Eine Art schmerzhafter Diskurs in der Enge?

Cinemascope war auch mal kurz ein Thema. Aber Cinemascope evoziert eben immer auch diese Western-Weite, die wir unbedingt vermeiden wollten. Wir wollten aber auch kein TV-Format, sondern das klassische 16:9.

Ich habe heimlich mitgezählt: Im ganzen Film finden sich höchstens fünf Kamera-Bewegungen.

Uns hat immer auch vorgeschwebt, man müsste den Film als Fotoalbum erzählen können. (lacht) Hinter jeden guten Kamera stehen aber auch eine gute Maske, Kostümbild und Ausstattung.

Die Bilder haben auch etwas Aufgeräumtes. Noch die weisse Wollsocke mit dem Loch drin ist im Grunde ja viel zu neu, um schon kaputt zu sein.

Das Loch ist uns zu gross geraten. (lacht) Wenn man einen Film macht, der sich visuell so entblösst, muss man auf dieser Ebene extrem genau arbeiten. Dann spielt alles eine Rolle. Ob die Farben stimmen. Oder ob die Tapete passt.

Der Mann, der endlich flügge werden möchte, fliegt Modellflugzeuge: Suchen Sie Bilder einer positiven Einfachheit?

Das ist schön gesagt. Wir suchen einerseits lustige Sachen. Aber dann soll einem das Lachen schon auch mal im Halse stecken bleiben. Das Modellflugzeug als Bild für eine Selbstbefreiung ist natürlich ein einfaches, aber eben auch wirkungsvolles Bild. Weil man es sofort versteht. Und es geht ja auch darum, dem Zuschauer die richtigen Signale zu geben.

Was die gestrenge Geschlossenheit dieses Films auch ausmacht: Dass er auch dann nicht Fahrt aufnimmt, wenn er es eigentlich tun könnte.

Solche Erwartungen möchte ich genau unterlaufen. Spannend finde ich gerade, wie man etwas sehr konsequent erzählt und im Ton bleibt.

«Man kann nicht alles haben.» Die Generation der Louises war geprägt vom Verzicht. Umgekehrt haben die Jungen heute das Gefühl, sie müssten alles gemacht haben. Ist das denn wirklich so viel besser?

Diese Freiheit ist auch eine grosse Überforderung. Früher waren die Menschen stärker gelenkt und eingeschränkt. Es gab die Kirche oder den Staat, die einem sagten, wie man leben muss. Oder die Eltern. Das Erbe war früher wichtiger. Glücklicherweise sind wir heute befreiter. Dafür meint man jetzt, es sei alles möglich, aber wenn es dann nicht hinhaut, ist man eben auch selber schuld. Selbstverwirklichung ist jetzt das Wichtigste, man will sich immer entwickeln. Das geht mir auch auf die Nerven. Es gibt ja nicht nur einen selber.

Sie gehen ja hoffentlich auch nicht nur an die Premieren Ihrer eigenen Filme.

Dann könnte ich nur alle drei Jahre ins Kino gehen... Ich habe mir zuletzt Frances Ha angeschaut, ein grossartiger Film. Von Noah Baumbach hat mir Greenberg schon so gut gefallen. Ich mag natürlich auch Aki Kaurismäki – die üblichen Verdächtigen. Lars von Trier. Jeder seiner Filme ist ein Ereignis. Ein Schnitt durch alle Schichten unserer Psyche.

Soll dafür ein ganz schrecklicher Typ sein. Sagen zumindest die Frauen, die nie wieder mit ihm einen Film drehen.

Ich habe nur gehört, er könne gut Tennis spielen. Das ist ja auch etwas! (lacht) Man weiss ja nicht, ob stimmt, was man liest. Man muss ja alles überprüfen. Jede Schauspielerin würde doch mit Lars von Trier drehen, weil es eine Garantie für den Darstellerinnenpreis in Cannes ist.

Wollen Sie uns noch verraten, was wir als nächstes von Ihnen erwarten dürfen?

Es geht in verschiedene Richtungen. Ich schreibe an neuen Drehbüchern. Ich habe dieses Jahr im Theater Regie geführt. Ich drehe aber auch Musikvideos. Ich verfolge ein Projekt mit Kutti M.C. Film ist sicher mein Hauptding. Aber man kann viele verschiedene Dinge machen.

5. September 2013

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