Interview

Roland Emmerich: «Ich brauche mehr Abwechslung»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Der Katastrophenfilmer knöpft sich William Shakespeare vor. Warum das? Und was kommt als nächstes? Der Regisseur über Kunst, Kommerz und Krisen.

Roland Emmerich: «Ich brauche mehr Abwechslung»

Seit wann interessiert sich ein Wolfgang Emmerich für das Problem, ob Shakespeare tatsächlich Shakespeare war?

Ich liebe es, Dinge zu hinterfragen. Die Geschichte wird bekanntlich immer von Leuten geschrieben, die den Status Quo mögen – das Dogma, wenn Sie so wollen. William Shakespeare ist auch so ein Dogma: Der einfache Mann, der ein Genie war, der alle diese Texte ohne jede Schulbildung geschrieben hat, das ist ein Dogma. Ich wollte die Sache ein bisschen aufmischen.

Warum hat's dann so lange gedauert, bis Sie nach all Ihren Katastrophenknallern einen literaturgeschichtskritischen Verschwörungsthriller mit Kunstanspruch drehten?

Die Wahrheit ist: Ich muss Filme abliefern, die Kohle machen. Viele Leute verdienen mit meinen Filmen sehr viel Geld – also will niemand, dass ich etwas Anspruchsvolleres wie Anonymous mache. Das ist Unterhaltung für Erwachsene, der Film wird kaum gross Kasse machen. Wenn er allerdings Erfolg hat, werde ich mir den Luxus gönnen, abwechslungsweise einen grossen und dann wieder einen kleinen Film zu drehen. Das wäre wichtig für mich, die Lust an den grossen Kisten ist mir ein bisschen vergangen.

Shakespeare war also ein anderer, der Earl of Oxford eben, den Rhys Ifans spielt als wäre er Hamlet. Zwei, drei Sätze zur umstrittenen Argumentation der so genannten Oxfordianer, zu denen Sie sich offenbar auch zählen.

Da ist ein einfacher Mann aus Stratford, der nach London kommt. Und alles, worüber er schreibt, sind die Royals, während die einfachen Leute ausschliesslich merkwürdige Namen haben? Das ergibt keinen Sinn. Schon verrückt, wie ernst man das Thema in der akademischen Welt nimmt, vor allem in England. Das hat auch damit zu tun, dass ein Haufen Professoren William Shakespare das ganze Leben gewidmet hat. Und jetzt kommt irgendein Regisseur aus Hollywood daher und sagt: «Alles falsch!» Ich kann diese Leute verstehen. Die wissen natürlich auch um die Macht des Films und wollen nicht wie Idioten dastehen.

Dieses «Hinterfragen von Dogmen», von dem Sie vorher sprachen: Ist das in Ihren Augen der politische Impetus von Anonymous? Im Film fällt mal der schöne Satz: «Kunst muss politisch sein, nicht bloss Ornament.»

Absolut. Kunst muss hinterfragen, muss aufrütteln, Kunst muss provozieren. Wir sind in letzter Zeit ziemlich schüchtern geworden, wenn man sich die Kunst und speziell Filme anschaut – wir sind verdammt schüchtern geworden. Das ist weit weg von dem, was Kunst leisten sollte.

Immer diese Royals. Was macht eigentlich ihre Faszination aus?

Früher habe ich mich über meine Mutter lustig gemacht. Und hier bin ich, und drehe einen Film über die Royals. (Lacht.) Das liegt wohl daran, dass sie die Stars ihrer Zeit waren. Ich persönlich bin allerdings nicht generell an den Royals interessiert. Mein Interesse beschränkt sich auf Königin Elisabeth, eine absolut faszinierende Frau. Sie war die Tochter eines Mannes, der ihre Mutter köpfen liess. Sie hatte eigentlich keine Chance auf den Thron, wurde aber auf fast magische Art Königin. Sie durfte nicht heiraten. Und in Wahrheit hatte sie nie etwas zu sagen, sie war eine Marionette.

Ihr Film beginnt in einem Theater, und da hört er auch auf. Bei allem Respekt vor der Autoren-Frage: Shakespares Werk ist Ihnen schon auch wichtig?

Das ist es allerdings. Ich wollte es regelrecht abfeiern. Ich habe mir gesagt: Die Theaterszenen müssen die besten sein, die es je im Kino zu sehen gab. Wir wollen zeigen, wie das Theater damals aussah. Das Publikum soll spüren können, wie Theater sich damals anfühlte. Auch was Kostüm-Design betrifft, ist Anonymous der aufwendigste und genauste Shakespeare-Film, den es je gab.

Sie sagten, sie verlieren die Lust an den grossen Kisten. Warum?

Es wird ein wenig einschläfernd nach einer Weile, fühlt sich an, als führe man eine Firma. Anonymous war mehr wie Ferien. (Lacht.)

Schon etwas spruchreif?

Ein grösseres Projekt: Ich möchte schon seit 20 Jahren das Leben des Tutanchamun verfilmen. Das hätte früher mehr als 100 Millionen Dollar gekostet, heute reicht die Hälfte. Das macht den Film plötzlich machbar.

Wie schlimm wäre es für Sie, wenn Anonymous floppt?

Ach, ich bin da sehr zen-mässig drauf, ein Film ist ein Film. Manchmal gibt's Filme, die bei der Kritik durchfallen, das Publikum aber liebt sie. Und 30 Jahre später zählt man sie zu den besten Filme aller Zeiten. Denken Sie an Citizen Kane.

3. November 2011

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