Dolls Japan 2002 – 113min.

Filmkritik

Menschen - Puppen - Menschen

Filmkritik: Gerhard Schaufelberger

Wer Takeshi Kitano nur von seiner Rabauken-Seite kennt, wird in seinem neusten Werk "Dolls" gegen das Gähnen kämpfen müssen. Kaum eine Nahaufnahme der gewöhnlich so allgegenwärtigen rohen Männergewalt, kaum ein kindischer Sarkasmus ist zu finden in diesem langsamen, tableauartig inszenierten Schauspiel, das in ungewohnter Buntheit und bedächtiger Bildsprache daherkommt.

Nach dem Abstecher in die USA und der daraus entstandenen Gewaltorgie "Brother" baut Takeshi mit "Dolls" wieder ganz auf dem heimischen Kulturerbe. Ausgehend vom traditionellen Bunraku-Theater verwebt er drei aus dem Leben gegriffene Geschichten zu einem stimmungsvollen, gemächlich inszenierten Episodenfilm.Höchstens die Wortkargheit erinnert an "Beat" Takeshis Handschrift, und sein wenig gelungener Männer-Bubenfilm "Brother" scheint so fern wie das Werk eines um sieben Ecken Verwandten. "Schlossherr" Takeshi besinnt sich mit "Dolls" auf alte Traditionen, und wagt sich dennoch mit semantischen Widersprüchen in durchaus spannendes Neuland.

Verschränkt zwischen kurzen Szenen aus einem klassischen Bunraku-Spiel von Chikamatsu Monzaemon (der gerne mit dem Titel "japanischer Shakespeare" versehen wird), vernehmen wir drei voneinander unabhängige, zeitgenössische Geschichten über die unglückliche Liebe, wie sie unglücklicher nicht sein könnte: Ein junger Mann brüskiert Braut und Schwiegereltern um des gesellschaftlichen Ansehens willen, und die junge Frau verliert darob den Verstand. Nun wandelt sie in geistiger Umnachtung vollkommen debil durch die Welt, durch ein rotes Seil mit dem abtrünnigen - und reumütigen - Bräutigam verbunden. Ein armer Fabrikarbeiter verlässt seine Freundin, besessen von seinen Macht- und Wohlstandsgelüsten. Jahrzehnte später schmerzt ihn diese harte Entscheidung in der Seele, und er kehrt oft an den Ort zurück, wo sich die jungen Liebenden zu treffen pflegten. Eine Pop-Diva wird durch einen schweren Unfall grausig entstellt und wendet sich vollkommen von der Öffentlichkeit ab. Doch ihr treuster Fan sucht sie auf, um ihr seine Ergebenheit auf drastische Art zu beweisen.

Als Unterton aller drei Teile schwingt die Unabwendbarkeit einer nahenden Katastrophe mit, das Gefühl, dass es nicht gut kommen kann, dominiert. Auf schockierende Blutspritzereien wird aber durchweg verzichtet. Die Gewalt bleibt implizit, nur aus seinen Spuren glotzt uns der Tod entgegen - viel wirkungsvoller als durch das blosse Abbilden des Moments, in dem er eintritt. Gezeigt wird das Ergebnis, die Tat zu durchleben obliegt allein der Einbildungskraft des Zuschauers.

Genau dieses Prinzip des Nachempfinden-Müssens, der Andeutung statt plumper Abbildung, macht "Dolls" zu einem sehr eindrücklichen szenischen Erlebnis. Dazu gesellen sich die widersprüchliche Künstlichkeit, in die der Regisseur seine puppenhaften Menschenbilder kleiden lässt (Kostümmeister Yohji Yamamoto genoss jede erdenkliche Freiheit in der Ausstattung der Figuren) und die betont malerische Reise der Kamera durch alle vier Jahreszeiten Japans. Suggeriert wird wohl ein stetiges Weggehen und Suchen, doch unterschwellig herrscht immer das Bedürfnis nach der Rückkehr in eine letzte Gewissheit vor: Der Drang zur endgültigen Ruhe.

15.02.2024

4

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