28 Days Later Grossbritannien 2002 – 113min.

Filmkritik

Ein britischer Albtraum

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

Immer schon mit dem feinen Näschen für aktuelle Trends bringt das "Trainspotting"-Team um Regisseur Danny Boyle mit "28 Days Later" jetzt einen zeitgemässen Zombiefilm in die Kinos.

Die Zombies sind wieder da. Pünktlich zur weltweiten Sinnkrise treiben sie ihr Unwesen diesmal im Vereinigten Königreich. Dazu gekommen ist es, weil fanatische Tierschützer beim Versuch, Testschimpansen aus einem Forschungslabor zu befreien, ungewollt ein Virus freigesetzt haben. "Rage", auf Deutsch Zorn, heisst das Ding und wirkt so nachhaltig, dass die britische Insel bald im Chaos versinkt. Übers Blut transportiert, zeigt "Rage" bereits Sekunden nach der Infektion Wirkung. Menschen verwandeln sich in rasende Bestien, mit dem einzigen Ziel, andere zu zerhacken oder in Stücke zu reissen.

Einmal mehr legt Regisseur Danny Boyle intensiv los und beschwört mit hektischen Schnitten ein heimlich-unheimliches Lebensgefühl. Wie schon die Vorgänger "Shallow Grave", "Trainspotting", "A Life Less Ordinary" und "The Beach" ist auch "28 Days Later" ein rauschhaftes Ereignis. Boyle feiert gern die Flucht vor Alltag und Langeweile, dokumentiert den Wahn, mittels Drogen, Geld, Gewalt, Sex oder Krieg zum ultimativen Kick zu kommen. Das gefährliche Leben also. Am besten in einem Ausnahmezustand, wo Erfahrungshorizonte erschlossen werden können, die als besonders intensiv oder lebenssteigernd wahrgenommen werden.

Als der Velokurier Jim (Cillian Murphy) an Tag 28 nach der Katastrophe im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, steht die Welt erst einmal still. Nicht nur das Spital ist verlassen, auch die Strassen von London sind menschenleer. Ohne zu wissen, was geschehen ist, irrt Jim im OP-Gewändlein durch die Metropole. Als er in einer Kirche von einem untoten Pfarrer attackiert wird, ist es Selina (Naomie Harris), die ihn im letzten Augenblick rettet. Jetzt sind sie zu zweit und die junge Amazone lehrt Jim, sich in feindlicher Umgebung zu bewegen.

Später treffen die beiden auf andere Überlebende. Zusammen mit Familienvater Frank (Brendan Gleeson) und seiner Tochter Hannah (Megan Burns) folgen sie im Londoner Taxi einer Radiobotschaft nach Manchester. Dort verschanzte Soldaten versprechen Rettung. Als sie nach einer beinah idyllischen Reise in den Norden auf die Militärs treffen, haben diese von der Erhaltung des Menschengeschlechts allerdings ziemlich eigene Vorstellungen. Was als Zombiefilm begann, wird zum Psychodrama und endet als Rambo-Trip.

Dieser Wechsel vom Nihilismus zur Survival-Tour - Jim muss die Frauen aus den Händen notgeiler Soldaten befreien - bekommt Boyles Film nicht sonderlich. Statt der in der ersten Hälfte prächtig gestalteten Albtraumstimmung zu folgen, schneidet der Regisseur vom erwachsenen Horrorfilm auf die Heldentaten eines durchtrainierten Velokuriers. Das ist umso betrüblicher, als dass die ersten 60 Minuten der Digicam-Produktion den Nerv der Zeit nur zu gut treffen, und sich die Angst, gespeist aus unserer Seuchensensiblität sowie dem Horror, Freunde sekundenschnell in tödliche Gegner verwandelt zu sehen, zur Paranoia weitet.

Das war in den von Boyle ausgiebig zitierten Trash-Geniestreichen "Night of the Living Dead" (1968) und "Dawn of the Dead" (1978) (beide von George Romero) nicht anders. Allerdings werden aus den ursprünglich schlafwandlerisch torkelnden Zombies blitzschnell zuschlagende Fratzengestalten. Diese verwandeln in "28 Days Later" die Stadt in einen Kriegsschauplatz, auf dem nur die Agilsten, Smartesten und Gnadenlosesten überleben können. Selina ist bereit, ihre besten Freunde im Falle einer Ansteckung sofort zu töten. Auch Jim legt anfängliche Skrupel bald ab. Was er zuerst an Zombies testen kann, kommt ihm später im Kampf Mann gegen Mann zu gute.

Galten die trashigen Widergänger bei Altmeister Romero noch als untote Verkörperung von allerlei gesellschaftlich Verdrängtem, lässt Boyle die Politik beiseite. Vielmehr schickt er seine Protagonisten auf eine Mission, an deren Ende Jim und Selina gelernt haben werden, wie man sich unter Kriegsbedingungen durchsetzt: Gefühle sind zu kontrollieren, Skrupel abzulegen, Konkurrenten zu vernichten. Hatte der Witz in Romeros Filmen noch darin bestanden, diese fatale Nähe von Lebenden und Untoten, die fortschreitende Dehumanisierung herauszustreichen, zieht man aus "28 Days Later" allein die Erkenntnis, dass, wer Zombies bekämpfen will, selbst zum Monster werden muss.







10.11.2020

4

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Kommentare

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blaulateralus

vor 15 Jahren

Ich muss ehrlich gesagt mal sagen, dass alle die diesen Film so brutal kritisieren, diesen Film überhaupt nicht verstanden haben. Dieser Film ist mit Sicherheit kein Zombie-Film im üblichen Sinne. Er vermittelt und zeigt den Bezug von uns Menschen zu Natur und wie wir miteinander umgehen. Eigentlich fürchten wir uns doch immer mehr vor der Natur. Davor das Sie uns in Form verschiedenartigster Naturkatastrophen verschlingt. Dabei sind wir es, die einen grossen Anteil daran haben, dass die Natur immer mehr aus den Fugen gerät. Für mich zeigt dieser Film absolut genial den Bezug des Menschen zur Natur und der Umgang unter uns Menschen und wie schwach und einfach gestrikt wir doch alle sind. Ich bin auch der Ansicht, dass in solchen Extremsituationen die natürliche Schwachheit des Menschen, genau wie im Film gezeigt, zum Vorschein kommen würde. Wir sind Bestandteil der Natur. Es ist nur so, dass die Natur eine viel schönere Seele als wir Menschen hat. Des weiteren finde ich das der Film absolut genial gedreht und geschnitten ist. Auch die schaupielerischen Leistungen überzeugen mich. Herrlich wie Jim in den ersten Sequenzen durch London irrt. Für mich ein wirklich ausgezeichneter Film.Mehr anzeigen


yolandanicholson

vor 20 Jahren

Gähn! unglaubwürdig!


variety

vor 20 Jahren

Also, ich bin echt enttäuscht über den Film. Er verschenkt viele Themen, ist viel zu blutrünstig und wie ein Video-Clip geschnitten. Die anderen Boyle-Filme fand ich auf alle Fälle interessanter. Sogar der Film "The Beach" mit Leonardo di Caprio war tiefschürfender als 28 Days Later. Die Dialoge waren so etwas von hölzern (vor allem von Hannah, der Tochter!) und die Themen wurden alle nur oberflächlich behandelt (z. B. Endzeitstimmung, Perspektive in der Zukunft, Gewalt in der Armee, Bekämpfung des Virus etc. etc.).
So SCHADE...!!!Mehr anzeigen


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