Interview

Oliver Hirschbiegel: «Schonungslos erzählen»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

In «Der Untergang» zeigte er Hitler beim Spaghetti essen – jetzt spürt er einem fast vergessenen Hitler-Attentäter nach: Oliver Hirschbiegel über Georg Elser, Zivilcourage und die braune Sauce.

Oliver Hirschbiegel: «Schonungslos erzählen»

Für den Untergang gab es eine Oscar-Nomination, aber auch viel Haue. Mit Diana haben Sie sämtliche Kritiker und halb Grossbritannien gegen sich aufgebracht. Muss Balsam auf Ihre Seele sein, dass Elser von der Presse so wohlwollend aufgenommen wurde?

Es gibt auch bösartige Stimmen. Aber generell ist das Echo positiv.

Fehlt's fast ein bisschen an Reibung?

In dem Fall bin ich nicht auf Reibung aus.

Sondern?

Die Leute sollen Georg Elser so sehen, wie er war; und wir haben ihn sehr gut dargestellt, glaube ich. Mir wird ja gerne vorgeworfen, zu seicht, oder zu brutal zu sein. Dem Einen bin ich nicht nicht Arthouse genug, und der Andere schreibt: «Das ist zu sehr Arthouse.» Ich hätte gern, dass Elser als guter und wichtiger Film gesehen wird. (lacht)

Schweizer Frage: Warum wird Adolf Hitler – in Elser im Unterschied zum Untergang nur eine Randfigur – nicht wieder von Bruno Ganz gespielt?

Das Problem mit Hitler ist ja, dass der immer gleich eine irre Präsenz bekommt. Und wenn er dann noch von Bruno Ganz gespielt würde, wird das noch extremer. Im Film ist Hitler ja gleich weg, und man sieht ihn nie wieder.

Sie haben in Elser mit Hitlers Originalstimme gearbeitet, sie allerdings so verfremdet, dass sie kaum noch zu verstehen ist.

Die Stimme ist ja wuchtig genug, und es wirkt nicht wie eine Aufzeichnung. Die Energie ist immer noch da.

Elser – die Geschichte eines Schreiners aus der Provinz, der Hitler 1938 beinahe mit einer Bombe in die Luft gejagt hätte: Das scheint überhaupt die Antithese zu Ihrem Untergang?

Mir ging es um die Darstellung dessen, was auf dem Land passiert, wie diese braune Sauce da reinkriecht, wie diese Typen sich einfach das Landleben nehmen, instrumentalisieren und dann komplett alle gleichschalten. Es hat mich gereizt, Elser in diesem Kontext beobachten zu können.

Sie zeigen im Film den genannten Fortschritt als «Verkaufsargument» für den Nationalsozialismus. Asphaltierte Strassen, ein Volksempfänger für jeden Haushalt: War es das, was die Leute hat anbeissen lassen?

Den Leuten ging es damals nicht gut. Und da waren plötzlich diese Typen da und haben gesagt. «Wir haben die modernste und schlagkräftigste Armee der Welt. Ihr müsst jetzt noch ein bisschen darben, aber es liegt eine goldene Zukunft vor uns. Und abgesehen davon kriegt ihr alle Kommunikation, geteerte Strassen und Elektrizität.» Für einen Grossteil der Menschen wäre das wahrscheinlich heute noch ein Argument, wenn sie in Armut lebten.

Sie rahmen Elser mit dem schaurig-schönen Volkslied «Kein schöner Land» ein: zynisches Statement oder doch eine Liebeserklärung an Deutschland?

Das ist halt ein Lied, das in der Nazizeit wahnsinnig viel gesungen worden ist, das aber einfach für das Schöne und die Poesie des Deutschen und der deutschen Tradition steht. Das ist überhaupt nicht zynisch oder ironisch eingesetzt. Das meine ich genau so.

Wer es geschafft hat, kommt ins Kino: Hat das Biopic eigentlich das gute alte Denkmal aus Stein ersetzt?

(lacht) Ein Film kann nur der Anstoss für ein Denkmal sein; er kann Teil des Vermächtnisses werden. Ein Film hat aber auch nicht die Aufgabe, jemandem ein Denkmal zu setzen. Sonst würde ich mich sofort zum Sklavenmachen. Ein Denkmal muss die Gesellschaft setzen. Und Georg Elser braucht echt ein Denkmal. Der hat keines!

Klaus Maria Brandauer hat ihn vor allerdings vor 25 Jahren schon mal filmisch verewigt. Warum wurde Georg Elser von allen anderen vergessen?

Er hat die Nähe zu den Kommunisten, ohne je einer gewesen zu sein. Die Idee, sich einer Partei zu organisieren, läuft dem Pazifisten und Freigeist zuwider. Elser war ja ein Hippie, eigentlich – und damit für Kleinbürger natürlich ein Sonderling. Und: Er hatte keine Lobby. Stauffenberg und seine Mitverschwörer, wie die damals hiessen, hatten in Deutschland noch Jahrzehnte den Ruf von Verrätern. Aber eine gute Lobby hat dafür gesorgt, dass sie den Platz in der Geschichte gekriegt haben, der ihnen zusteht. Bei den Scholls war das nicht anders. Elser war viel früher da: 1944 zu sagen, Hitler muss gestoppt werden, braucht nicht viel Fantasie. Wobei ich die anderen Leistungen nicht schmälern will.

Wie rasch war entschieden: Der dramatische Spannungsbogen kann nicht das «Making of» des geplanten Bombenattentats sein?

Ich wusste, dass man schonungslos erzählen muss, ohne jetzt den Zuschauer zu überfordern. Und dass man alles zeigen muss.

Sie meinen die Folterszenen, die Elser sehr wesentlich prägen. Die vielleicht drastischste: Sie zeigen eine fast zweiminütige Hängung – bis zum letzten Zucken. Muss man das?

Wir leben in einer Zeit, in der wir in demokratischen Systemen ernsthaft diskutieren, Folter unter bestimmten Voraussetzungen zu legitimieren. Das ist für mich ein absolutes No-Go. Ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass es eine Linie gibt, die man unter keinen Umständen überschreitet: Das ist Vergewaltigung, Töten und Foltern. Das ändert sich aber offensichtlich.

Diese Hängung an den schmalen dünnen Drähten oder den dünnen Schnüren? Das haben die Nazis im Osten ja ohne Ende gemacht. Ich wollte das zeigen und eine direkte Linie in den Iran ziehen, wo das heute noch täglich stattfindet. Was der Burghardt Klaussner da spielt, kann man sich ja anschauen. Die Leute filmen solche Hängungen ja mit ihren Handys.Bei uns sind diese Fragen nicht akut, Gott sei Dank. Deswegen muss man heute gerade die junge Generation damit konfrontieren. Viele Kollegen nehmen diese Verantwortung nicht ernst. Gewalt und Schmerz, Unterdrückung und Erniedrigung werden zu oft als ein Effekt benutzt.

Der Zuschauer bei „Elser: stets in der Rolle der Sekretärin im Film, die in ziemlicher Seelenruhe in einem Buch blättert, während man aus Elser Vor- und Nachnamen herausprügelt, die man längst kennt?

Die Sekretärin ist das deutsche Volk. Man weiss nie genau, was sie wirklich denkt. Die macht da nicht mit, ist aber auch nicht ganz unbeteiligt. Die hat überhaupt nur einen Satz im Film.

Sie hört nur weg.

Eine Metapher für die die deutsche Haltung. Und ein Zeigefinger im Sinne von: Genau das ist die Haltung, die in die Katastrophe führt.

So wie der Eimer, in den Elser bitte kotzen möchte, während er gefoltert wird, eine Metapher für eine bürokratisch geordnete Grausamkeit ist?

So wurde das gemacht damals. Absolut technisch, total unemotional.

Sie zeigen Georg Elser als notorischen Schürzenjäger, der im Hause seiner verheirateten Geliebten einzieht, die von ihm ein Kind bekommt, und dann stirbt es auch noch gleich nach der Geburt: Was ist in „Elser“ noch melo-dramatische Notwendigkeit – was schon historische Wahrheit?

Das war so! Das ist alles schwer nachzuvollziehen, aber wir Menschen sind nicht so einfach zu lesen. Das ist eine relativ simple Darstellung einer Situation, die viel komplexer war. Was man erfindet, sind Szenen, bei denen niemand dabei war.

Elser ist, etwas salopp gesagt, natürlich auch ein Film über Zivilicourage. Wie gross wird das Wort im Hause Hirschbiegel geschrieben?

(denkt lange nach) Ich schreite ein, wenn jemandem Unrecht widerfährt, oder schlecht behandelt wird – ich habe einen Gerechtigkeitssinn in mir. Ob ich bereit wäre, mein eigenes Leben zu geben, in Gefahr zu bringen, um einen anderen zu schützen?

Ich traue mich auch nicht zu sagen, wie viel Mut ich damals gehabt hätte. Aus heutiger Sicht sagt es sich so leicht, ich hätte da nicht mitgemacht. Ich weiss, dass Leute wie Georg Elser oder Edward Snowden eine Grösse haben, die extrem selten ist. Ich habe die sicherlich nicht in mir. Den Mut zu haben, so etwas durchzuziehen mit all den Konsequenzen? Das eigene Leben zu zerstören, die Nächsten nicht mehr sehen zu können, auf der Flucht zu sein, im Gefängnis zu landen über Jahrzehnte, zu sterben sogar? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe grössten Respekt – auch vor Snowden. Der Mann weiss ganz genau, was er tut. Er ist absolut selbstlos und hat keine eigenen Interessen. Nur sein Gewissen leitet ihn.

7. April 2015

Weitere Interviews

Christian Friedel: «Friedlichen Widerstand leisten»

Regisseur Christophe Van Rompaey über seine rebellische Jugend, Depressionen und die Generation Z

Der kleinste Stuntman der Welt, Kiran Shah: «Bei Star Wars muss ich einfach meinen Kopf ausschalten!»

«The Lost City of Z»-Entdecker im Interview: «Wir haben es oldschool gemacht»