Interview

Jean-Jacques Annaud: «Es ist mehr als ein Film»

Adrian Nicca
Interview: Adrian Nicca

Der mit den Wölfen tanzt: Der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud über die chinesischen Behörden, tödliche Kritiken und das Tier in uns.

Jean-Jacques Annaud: «Es ist mehr als ein Film»

Herr Annaud, Sie konnten mit Wolf Totem in China einen riesigen Box Office Erfolg feiern und repräsentieren nun mit Ihrem Film China bei den Oscars 2016. Wie ist das möglich, nachdem Sie wegen Seven Years in Tibet von China mit einer Einreisesperre belegt wurden?

Der eigentliche Grund, warum Seven Years in Tibet solchen Aufruhr in China verursachte, war L’Amant, The Lover. Sexualität ist in China immer noch ein grosses Tabu. Sehr viele Chinesen haben aber L’Amant, trotz Zensur, gesehen und für viele war dieser Film eine sexuelle Offenbarung. Ausserdem habe ich im Film den chinesischen Protagonisten zu einem Prinzen gemacht, anstatt wie im Buch als Idioten hingestellt. Dieser Respekt gegenüber China machte den Film so erfolgreich. Deshalb war Chinas Regierung so enttäuscht, als ich in Seven Years in Tibet eine solch kontroverse Figur im Fokus hatte. Bei Wolf Totem kam das Kader der staatlichen chinesischen Filmproduktionsfirma aber auf mich zu und teilte mir mit, dass China pragmatisch geworden sei. Sie sagten, dass sie selbst keine Ahnung haben, wie ich solche Filme mache und mich deshalb brauchen. Das gefiel mir.

Was geschah dann?

Ich reiste nach China und begab mich sofort ins Grasland der inneren Mongolei. Dort wurde ich unglaublich warm empfangen und hatte eine wunderbare Zeit. Die Offiziellen vor Ort sagten mir, dass sie mich beobachten würden, von meiner Arbeit lernen, es selbst besser machen und mich deshalb nachher nicht mehr brauchen würden.

Eine Lehrstunde von Jean-Jacques Annaud für die chinesischen Filmschaffenden also?

Nun, es ging ihnen darum, möglichst viel Wissen und Erfahrung von mir auf sie selbst zu übertragen und in Zukunft nützen zu können.

Eine gute Kopie gilt in China dem Original als ebenbürtig...

Oder wie im alten Griechenland, wo die Maxime galt: Sei so gut wie dein Meister oder noch besser. Sie liessen mir also freie Hand, da sie wussten, dass ich nur so meine beste Arbeit leisten und nur so ein optimaler Wissenstransfer geschehen konnte.

Es gab also keinerlei Druck von aussen?

Nein, nichts! Ich hatte völlige Freiheit und auch den Final Cut, wie in allen meinen bisherigen Filmen. Nicht einmal sogenannter „freundlicher Druck“ von Produzenten oder Studios, wie ich es in Hollywood erfahren habe, habe ich bei Wolf Totem verspürt. Sie halfen mir also, mich selbst zu sein. Es war eine entsprechend grosse Ehre für mich als Franzosen diesen chinesischen Bestseller verfilmen zu dürfen.

Wurden vor Ihnen chinesische Regisseure für die Verfilmung des Romans von Lu Jiamin (Pseudonym: Jiang Rong) angefragt?

Eine heikle Frage. Ich zähle viele der namhaften chinesischen Regisseure zu meinem Freundeskreis und konnte sie nicht fragen, da ich sie damit in Bedrängnis gebracht hätte. Da der Roman einige negative politische Implikationen beinhaltet, ist er für die einheimischen Regisseure heikles und potentiell rufschädigendes Material, von welchem sie lieber die Finger liessen.

Einen Bestseller zu verfilmen geht mit viel Erwartungen und Druck einher, sind Sie dem gewachsen?

Ich bin den Druck gewohnt. Schon bei Umberto Ecos Der Name der Rose habe ich Lehrgeld bezahlt und wurde von den Kritikern verbal gelyncht. Auch bei L’Amant, der auf einem französischen Klassiker beruht, haben mich die Kritiker-Wölfe in der Luft zerrissen. Aber wer erinnert sich heute an die schlechten Kritiken? Die Leute erinnern sich zum Glück eher an meine Filme.

Wie war die Zusammenarbeit mit Autor Jiang Rong?

Wir hatten einige gröbere Auseinandersetzungen vor dem Drehbeginn. Ich sagte ihm, dies ist dein Buch, aber das hier wird ein Jean-Jacques Annaud-Film. Entweder willst du, dass ich dein Buch verfilme oder ich gehe jetzt sofort. Ich bin beim Drehen meiner Filme zu jeder Zeit darauf vorbereitet, alles hinzuschmeissen und zu gehen, falls ein Projekt nicht so läuft, wie ich es will. Nach Drehschluss schrieb Jiang Rong selbst die beste Kritik zu meinem Film, er weinte und war so glücklich über das Resultat. Wir sind immer noch sehr gute Freunde (lacht).

110 Millionen Dollar Umsatz allein in China sprechen für sich...

Ich habe Jiang gesagt, alles was ich will, ist dich glücklich, stolz und noch reicher zu machen, weil du noch mehr Bücher verkaufst (lacht).

Sprechen wir nun über die Tiere im Film. Sie haben keinen Aufwand gescheut, um den Film mit echten Tieren drehen zu können und bewusst auf CGI zu verzichten. Wie bringt man einen wilden mongolischen Wolf dazu vor der Kamera Anweisungen zu befolgen.

Mein Tier-Trainer Andrew Simpson ist weltweit der Beste seines Fachs. Er hat schon Füchse, Hyänen und Hunde für Filme trainiert und er wurde mir von allen Seiten empfohlen. Dazu habe ich eine lustige Geschichte. Als ich zu Wolf Totem zusagte und dabei war, das Casting und die Produktion ins Rollen zu bringen, rief mein Partner die Ranch von Andrew Simpson in Kanada an, Andrew nahm den Hörer ab und sagte: Oh, ich weiss warum sie anrufen! Sie haben einen französischen Akzent, ich las Wolf Totem vor fünf Jahren und ich dachte mir, wenn jemand dieses Buch verfilmen wird, dann Jean-Jacques Annaud. Sie rufen mich folglich an, um mir einen Job anzubieten. Ein paar Tage später war er bei mir in Paris (lacht).

Buch und Film handeln von der Balance zwischen Mensch, Tier und Natur. Wie beurteilen Sie diese Balance in unserer Zeit?

Es stimmt mich traurig, dass wir in unserer Kultur der Meinung sind, dass wir uns von den Tieren unterscheiden und dass wir Tiere nach unserer Lust und Laune und zu unserem Zweck verwenden dürfen. Meine Meinung ist eine andere. Ich weiss, dass in mir eine starke animalische Komponente steckt und ich schäme mich nicht dafür. Ich habe territoriale Ansprüche, einen Sexualtrieb, Futterneid und viele weitere Eigenschaften eines Tieres in mir vereint. Da ich mir dieser Tatsache bewusst bin und sie akzeptiere, bin ich demütiger, brauche keinen Psychiater, wenn ich mal einen Wutausbruch habe, sondern weiss, woher die Gewalt in mir rührt. Durch meine Filme mit menschlichen Schauspielern habe ich gelernt, dass wir gar nicht so anders sind. Wir kommen vom gleichen Ursprung, wir leben auf dem selben Planeten und wir brauchen uns alle gegenseitig.

Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?

Die Angst treibt mich um. Unsere Spezies wird nicht überleben. Es braucht eine Bewegung, die dieser Entwicklung entgegenhält. China als eines der grössten Länder dieser Welt muss dieser Bewegung angehören. Ich sehe meinen Film als Beitrag zu einer Bewegung, die dem rücksichtslosen Umgang mit der Natur und den Tieren entgegenwirkt. Es soll mehr als nur ein Film sein.

Welches Tier spielt in Ihrem nächsten Film?

Eine Frau (lacht).

Trailer Wolf Totem

27. Oktober 2015

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