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«Für Godzilla bin ich einfach der Falsche»

Stefan Gubser
News: Stefan Gubser

Aus dem erhofften Goldmännchen für den «Kreis» wird nichts – und trotzdem war die Oscar-Kampagne für eine runde Sache: Regisseur Stefan Haupt über Wolke sieben, Bodenhaftung und das Loben der Anderen.

«Für Godzilla bin ich einfach der Falsche»

Der letzte Jetlag, es waren in den letzten drei Monaten drei Reisen nach Amerika, liegt ein paar Wochen zurück. So lange, dass er wieder richtig da sei, lächelt Stefan Haupt in seinem Arbeitszimmer, in dem man nicht zwingend einen Filmemacher vermutete, hingen da nicht die Plaketten an den Wänden – Erfolgsmeldungen von verschiedensten Filmen und Festivals. Über 13 Auszeichnungen sind es mittlerweile allein für den «Kreis» geworden. Nur einen Oscar wird er nicht gewinnen.

Mag er überhaupt noch über den «Kreis» sprechen?

«Ich mache das immer noch erstaunlich gern.»

«Finsteres Glück» steht auf dem breiten Rücken eines der vielen Ordner, die sich auf den einfachen Holzgestellen die Blätter in den Bauch stehen. Der Roman von Lukas Hartmann – er erzählt von einem Achtjährigen, dessen Familie bei einem Autounfall ausgelöscht wird, und er will nicht zu Grossmutter oder Tante ziehen, sondern bei der Trauma-Therapeutin weiterleben, die sich nach dem Unfall seiner annimmt – ist zur nächsten Hauptsache seinem Arbeitsleben geworden, obwohl Haupt von der Geschichte eigentlich zuerst wegen zu vieler Projekte die Hände hatte lassen wollen. Aber dann war das Buch einfach zu gut. Die Bilder. Ganze Dialoge, die bereits filmreif dastanden.

Das letzte Kapitel seines Berufslebens könnte die Überschrift «Glück» tragen, auch wenn sich der Kreis zum Schluss nicht ganz schliessen wollte. Nein, kein Happy End: Das Rennen um den Ausland-Oscar war kurz vor Weihnachten beendet, und auch bei den Golden Globes war früher Schluss als erhofft. «Dennoch: Der Kreis war der erste Schweizer Film seit 20 Jahren, der es auf die Long-List der Golden Globes schaffte», meint Haupt schmunzelnd. Der letzte Film, dem dieses Kunststück gelang, war Krzysztof Kieslowskis Rouge, den damals massgeblich Schweizer Gelder möglich machten.

Und Haupt hält fest, wie viele positive und offene Feedbacks er für den «Kreis» aus der Branche erhalten habe, was in der Schweiz nicht nur üblich sei. Tut er sich selber leicht mit dem Loben der Anderen? «Ja. Und es kommt jetzt auch etwas zurück. Ich sage oft, wenn mir etwas gefällt. Da haben die Amerikaner schon ein unverkrampfteres Verhältnis untereinander. Es ist zwar ständig Competition, aber wenn einer gewonnen hat, dann gratuliert man.»

In der Schweiz, sagt Haupt, gelte eine coole Reserviertheit häufig als Qualität. Hier gilt als plump, wer etwas einfach toll findet und das auch gleich mitteilt. Die Schweizer seien Meister der Zurückhaltung, so Haupt, und es sei diese Eigenart, eine Eigenunart eher, die einen Schauspieler beispielsweise zögern lasse, einem Regisseur zu sagen lasse, er habe seine Zusammenarbeit ganz toll gefunden. Keiner will sich dem Verdacht aussetzen, er biedere sich jemandem an.

Und doch ist er in der kleinen Schweiz zuhause. Das haben ihm auch die Oscar-Promotouren durch das grosse Amerika gezeigt. An der Heimat findet der Regisseur das Kleinteilige «genial» – ein Wort, das oft fällt. «Ich kann nach Ilanz, Glarus, Maur oder nach Uster reisen, und finde überall Orte mit feinen Netzwerken, die funktionieren.» Ihretwegen sind die Säle überall voll, wenn Stefan Haupt mit dem «Kreis» beispielsweise für eine sonntägliche Matinée aus Zürich anreist.

55 Leute in Ilanz sind also keine Seltenheit, während in Palm Springs nur genau gezählte 22 Leute zur dortigen Kinopremiere in einem Saal sassen, in dem immerhin 400 Platz gefunden hätten. «Leicht absurd» nennt Haupt die paar Tage in der Wüste rückblickend; da hat er am Pool gesessen und sich einen Rohschnitt eines anderen Filmprojekts heruntergeladen oder aus dem Fenster des Hotelzimmers in die Palmen geschaut. Sie hätten aber, legt er rasch nach, in Amerika viele lässige Vorführungen gehabt. Das tollste Erlebnis? Vielleicht die Vorstellung im legendären Castro Theatre zu San Francisco: unvorstellbare 1400 Menschen in einem Kinosaal, eine nicht enden wollende Standing Ovation, im Restaurant beim Dinner und auf der Strasse danach wildfremde Leute, die dem Schweizer gratulierten.

Trotz der vielen Flugreisen, von New York nach Los Angeles, von einem Empfang zum nächsten Event: An dem einfachen Holztisch sitzt nun wirklich kein Mann, der die Bodenhaftung verloren hat. Ja, das glaubt man ihm gern: Auch nach einer Lobeshymne in der «Los Angeles Times» könne man nicht einfach einen Tag lang auf Wolke sieben schweben, sagt Haupt, der schon immer ein gebrochenes Verhältnis zu Hollywood hatte. Gerade bei seinen letzten Besuchen in der berühmten Traumfabrik sei ihm wieder aufgegangen, dass es nicht der innerste Kern seines Wesens sei, Träume zu fabrizieren. «Mir sagt der Begriff der 'Forschungsfabrik' mehr zu. Ich möchte mit meinen Filmen etwas erfahren und erforschen.» Sein grösstes Glück: die Arbeit mit den Schauspielern auf dem Set, oder wenn im Schneideraum etwas Tolles entstehe.

Käme er nicht doch in Versuchung, wenn Hollywood bei ihm anriefe? Kopfschütteln jetzt, sehr entschiedenes. In Los Angeles hat Haupt sich mit Regie-Kollege Claudio Fäh ausgetauscht. Der junge Schweizer, zuletzt mit der Vikingersaga Northmen in den europäischen Kinos, wollte von ihm wissen, wie er es in der Schweiz aushalte, da gebe es doch keine Arbeit? «Ich habe», widersprach ihm Haupt, «in der Schweiz doch die viel besseren Karten. In Amerika einen Film so herausbringen, wie du selber möchtest? So daran beteiligt sein, wie du selber möchtest? Denkste!»

«Man muss realistisch bleiben», war einer der ersten Hauptsätze, als die offizielle Filmschweiz seinen Film vor ein paar Monaten ins Oscar-Rennen schickte. Als es galt, Gelder für eine einigermassen Erfolg versprechende Oscar-Kampagne zu machen. Als rasch ein Oscar-Publicist gefunden werden musste, der wusste, wie man einen Film im Oscar-Business positioniert und verkauft. Wie leicht fiel es Haupt, der es sich als Regisseur gewohnt ist, so viele Fäden wie möglich in der Hand zu halten, auch mal loszulassen? Erstens braucht es für die Oscars Profis, weiss Haupt. «Und zweitens können andere Leute oft besser für den eigenen Film kämpfen als man selbst. Man ist ja immer ein Stück weit befangen.»

Ein Mann, ein «Man»: Er könne sein Ego durchaus auch zurücknehmen, sagt Haupt und erzählt lachend, wie der «Blick» nach dem Empfang beim Schweizer Generalkonsul in Los Angeles ein Foto gedruckt habe, auf dem Ernst und Röbi zu sehen sind und er nicht, weil er vor sich ein Plakat in die Luft hält, das er gerade geschenkt bekommen hat. «Ich war auf geniale Weise aus dem Bild wegkadriert.“ Und wenn sie zu dritt unterwegs waren, war für ihn immer klar, dass das schwule Paar im Zentrum steht, dessen Leidens- und Liebesgeschichte er im »Kreis« nachzeichnet.

»Think Big!« Aus Amerika mit nach Hause brachte er die Einsicht: »Wir dürfen grösser denken, als wir uns eingestehen.“ Hollywood ist für Haupt momentan kein Thema («Für Godzilla bin ich einfach der Falsche») – aber wenn jemand für ihn die richtige Rolle im Rahmen einer amerikanischen Grossproduktion finde, wird er sich das schon zutrauen. Ältere Geschichte: Haupt durfte seinen Dokumentarfilm über Elizabeth Kübler-Ross seinerzeit in den USA nicht im Kino auswerten, weil HBO sich mit Plänen für einen Spielfilm über die berühmte Sterbeforscherin trug – mit Susan Sarandon in der Hauptrolle. Haupt war damals als Regisseur für die Teile des Films im Gespräch, die man in der Schweiz hätte drehen wollen. «Für so etwas hätte ich jetzt gute Karten.»

Aber jetzt ist erst mal heute. Gleich steht ein Termin mit der Casting-Agentin an, am Nachmittag fährt der Vater vierer Kinder nach Basel, wo er den «Kreis» mit Gymnasiasten der Kantonsschule Liestal anschauen wird. Und abends wird er vielleicht in der Coop-Filiale im Zürcher Kreis 5 einkaufen, in der ihn, das Aus bei den Oscars war eben raus, die Filialleiterin mit den Worten empfing: «Wir hätten so eine Freude gehabt, wenn Sie nominiert worden wären!» Zu spüren, dass da ganz normale Leute waren, die richtig mitgefiebert hätten, sei der Hammer gewesen. Aber er mache, sagt Haupt noch, und man spürt, das ist ihm wichtig, er mache ja keine Filme, um den «besten» Film zu machen. «Ich möchte ein Thema auf die bestmögliche, berührende Art einfangen. Aber natürlich freue ich mich über Resonanz und Preise.»

Mehr zum Thema: Der Kreis ist heiss – Das Oscar-Rennen 2015

22. Januar 2015

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