Alice Schwarzer Deutschland 2022 – 100min.

Filmkritik

Die Frauenrechtlerin. Porträt einer Unentwegten

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Die Dokumentarfilmemacherin Sabine Derflinger spürt dem Leben und Wirken der deutschen Feministin Alice Schwarzer nach. Ihr Film vermittelt auch einen lebhaften Eindruck des seit den 1960er-Jahren weltweit vehement geführten Kampfs um die Rechte der Frauen.

«Alice Schwarzer» beginnt in Media Res, in den 1960er- und 1970er-Jahren. Mit Ausschnitten diverser TV-Sendungen, in denen Alice Schwarzer sexistische und patriarchalische Aussagen von (vor allem männlichen) Gesprächsteilnehmenden humorvoll und schlagfertig zerpflückt. Und mit Aufnahmen von Protestkundgebungen in Paris, bei denen aufmüpfige Aktivistinnen beim Mahnmal für den Unbekannten Soldaten auch schon mal einen Kranz «für die unbeachtete Frau des Unbekannten Soldaten» niederlegen und deswegen prompt verhaftet werden.

Für ihre Vehemenz bekannt machte Schwarzer ein 1975 vom WDR ausgestrahltes Streitgespräch mit der Autorin Esther Vilar über deren Buch «Der dressierte Mann», das einen Sommer lang für heisse Schlagzeilen sorgte. Zu Schwarzers grössten Anliegen gehört das Recht der Frauen auf Abtreibung, bzw. die Abschaffung des Abtreibungsverbots. Der in der Öffentlichkeit breit geführte Diskurs wurde 1971 befeuert durch ein von Schwarzer initiiertes Manifest, in welchem 374 Frauen bekannten, abgetrieben zu haben. Schwarzers Ruf als eine der wichtigsten Intellektuellen Deutschlands festigten zahllose von ihr verfasste Publikationen sowie die Gründung der feministischen Frauenzeitschrift «Emma» 1977 und der Stiftung FrauenMediaTurm Köln 1994, welche als feministisches Archiv die Geschichte der deutschen Frauenbewegung belegt.

Alice Schwarzer wurde 1942 in Wuppertal geboren. Sie zog 1963 erstmals nach Paris, wo sie sich in den folgenden Jahren immer wieder aufhielt. Ihre Kontakte zur französischen Frauenbefreiungsbewegung und ihre Auseinandersetzungen mit Intellektuellen wie Simone de Beauvoir, Monique Wittig, Elisabeth Badinter, Jean Paul Sartre und Michel Foucault, beeinflussten ihr Denken stark. Was Schwarzers Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bis heute prägt, ist die vehemente Unerschrockenheit, mit welcher sie sich als Feministin immer wieder in den zeitgeschichtlichen politischen Diskurs einmischt.

Derflinger hat ihren Film nicht chronologisch aufgezogen, sondern assoziativ arrangiert. Dessen Grundlage bilden nebst reichlich vorhandenem Archivmaterial Gespräche mit Schwarzers Weggefährten und Weggefährtinnen, Aufnahmen, die Schwarzer auf der «Emma»-Redaktion, bei einer Lesung oder bei Besuchen an ihr wichtigen Orten wie Wuppertal, Paris, Burma zeigen. Am aufschlussreichsten aber sind mit Schwarzer und ihrer Ehefrau, der Fotografin Bettina Flitner, geführte Interviews, bei denen auch von Rückschritten, Demütigungen und Zweifeln die Rede ist.

Derflingers Film greift vieles auf und tippte frauengeschichtlich relevante Themen an. Er zeigt Schwarzer nicht nur bei öffentlichen Auftritten, sondern auch von bisher wenig bekannter, privater Seite und lässt die Zuschauer so eine charismatische, humorvolle, kluge und starke Frau entdecken. Was Derflinger sich als Regisseurin allerdings nicht erlaubt und ihr Film demzufolge auch nicht leistet, ist eine distanzierte Einschätzung von Schwarzers Verdiensten im internationalen Kontext und eine Hinterfragung ihrer teilweise umstrittenen Positionen betreffend Themen wie Transsexualität und Kopftuchverbot. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Derflinger mit «Alice Schwarzer» das packende und vielschichtige Porträt einer herausragenden Persönlichkeit geglückt ist.



09.05.2022

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