Mothering Sunday Grossbritannien 2021 – 105min.

Filmkritik

Leidenschaftliche Liebe, erstarrte Gesellschaft

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

Eine Liebe im England der 1920er Jahre über die Klassengrenzen hinweg, das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Befreiung eines Dienstmädchens aus der Abhängigkeit: Schwere Themen packt die Französin Eva Husson in ihrem dritten Spielfilm, dennoch gelang ihr ein lichtdurchfluteter und sehr sinnlicher Film.

Tradition war es in britischen Adelshäusern, Bediensteten an einem Sonntag im Jahr freizugeben, damit sie ihre Eltern besuchen konnten. So gestehen dies auch die Nivens ihrem Dienstmädchen Jane (Odessa Young) am 30. März 1924 zu. Da Jane als Waisenkind aber keine Eltern hat, gibt sie vor eine Fahrradtour zu machen, wird sich aber im Haus der Nachbarn mit ihrem Geliebten Paul (Josh O´Connor) treffen. Dieser wird allerdings als Sohn des Hauses in Kürze standesgemäss seine Nachbarin Emma (Emma D´Arcy) heiraten. Die Nivens dagegen verbringen den sonnigen Tag mit einem Picknick mit ihren Nachbarn.

Beschwören beim Liebestreffen Detailaufnahmen, Unschärfen und Zeitlupen (Kamera: Jamie D. Ramsay) Sinnlichkeit und Leidenschaft, dominieren beim Picknick am See distanzierte Einstellungen, die die Steife nicht nur dieser Landpartie, sondern auch der gesellschaftlichen Regeln spürbar machen. Während sich Janes Arbeitgeber Mr. Niven (Colin Firth) nach aussen gelöst gibt, lässt dessen Frau (Olivia Colman) stets spüren, wie sie immer noch unter dem Verlust des Sohnes im Ersten Weltkrieg leidet. Doch die Nivens sind damit nicht allein, denn alle Söhne der Nachbarn sind mit Ausnahme von Paul im Krieg gefallen.

Eva Husson erzählt in ihrer Verfilmung von Graham Swifts 2016 erschienen Bestseller «Mothering Sunday» aber nicht chronologisch. Immer wieder wechselt sie nämlich nicht nur zwischen Picknick der Herrschaften und Schäferstündchen des Paares, sondern lässt Jane sich auch an die erste Begegnung mit Paul erinnern oder blendet in die Zukunft. In bruchstückhaften Szenen kommt damit eine andere und freiere Welt ins Spiel, denn in dieser Zukunft ist Jane Schriftstellerin und lebt mit einem schwarzen Philosophen zusammen.

So erzählt «Mothering Sunday» nicht nur von leidenschaftlicher Liebe und Kriegstraumata, sondern auch von der Emanzipation einer Frau. Gleichzeitig reflektiert Husson mit der Entwicklung Janes zur Schriftstellerin auch über die Wurzeln literarischer Tätigkeit, die untrennbar mit persönlichen Erfahrungen verbunden scheinen.

Viel packt Husson in dieses Drama, doch durch die stark fragmentarische Erzählweise, die geschmeidige Montage, die die Ebenen ineinander fliessen lässt, und die Sommerstimmung entwickelt sich trotz der ernsten Themen eine flirrende, luftig-leichte Szenenfolge, die sich langsam zu einem vielschichtigen Bild verdichtet.

20.01.2022

4

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Kommentare

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Swisscheese

vor einem Jahr

Bester britischer Film seit langem


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