CH.FILM

Azor Argentinien, Frankreich, Schweiz 2021 – 100min.

Filmkritik

Das dunkle Herz der Niedertracht

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Der in Buenos Aires geborene Schriftsteller Jorge Luis Borges hat einmal gesagt, dass er die Stadt Genf dafür liebe, dass sie sich nicht verändere. Das passende Gegenstück zu diesem Zitat ist wohl der Schweizer Film „Azor“, der im „Encounters“-Wettbewerb der Berlinale läuft, in dem sich das Leben eines Genfer Privatbankiers in Buenos Aires komplett verändert.

Es sind die 1980er-Jahre und Argentinien ist eine Militärdiktatur. Der Schweizer Privatbankier Yvan De Wiel reist mit seiner Frau Inés nach Buenos Aires, um dort seinen spurlos verschwundenen Partner René Keys zu suchen, doch weder Hinweise noch Gerüchte ergeben eine Spur. Zugleich übernimnmt De Wiel die Geschäfte mit der wohlhabenden argentinischen Kundschaft, die ihr Geld ins sichere Ausland bringen will, aber je mehr er handelt, desto tiefer gerät er in ein Labyrinth der Macht, in dem andere Regeln gelten…

„Azor“ ist die Geschichte eines finanziellen Kolonialismus, wie ein Konquistador kommt die Hauptfigur De Wiel nach Argentinien, um dort eine neue Welt zu entdecken. Folgerichtig beginnt der Film im tiefsten Dschungel – bereits zwei Schnitte später ist klar, dass es sich um eine Fototapete handelt. Eine domestizierte Wildnis, über die der Mensch die Macht hat. Und Macht ist in diesem dicht komponierten Thriller das zentrale Thema, allerdings geht es weniger um die der Junta, die gleich zu Beginn Passanten auf offener Strasse verhaftet, sondern um eine subtilere Variante, die im Verborgenen agiert.

Der Schweizer Regisseur Andreas Fontana blickt in seinem Debütfilm auf eine Welt, die sonst unter dem Mantel der Diskretion verborgen bleibt und begleitet seinen Protagonisten bei der Arbeit. Banker De Wiel bewegt sich in Kreisen, in der altes Geld im Umlauf ist, Reichtum ist eine Selbstverständlichkeit. Kameramann Gabriel Sandru übersetzt dies in eine adäquate Ästhetik, seine Bilder atmen die Patina zigarrenverrauchter Herrenzimmer, man kann die hochwertigen Polstergarnituren und den Geruch von Bienenwachs-Politur auf den schweren Holzmöbeln förmlich riechen. Aber diese Welt befindet sich im Wandel und statt der Fechtbahn gibt es nun Squash-Plätze, eine neue Generation steht in den Startlöchern: verwöhnte Kinder, die nur ans Geld denken.

„Azor“ erzählt in klugen Dialogen von den Mechanismen und dem Paradigmenwechsel in der internationalen Finanzwelt, ohne sich dabei in theoretischen Konstrukten zu verheddern und zugleich entspinnt sich aus den Gesprächen eine moralische Abwärtsspirale, die für eine eigenwillige Spannung sorgt. Denn obwohl hier mehr gesprochen als gehandelt wird, ist es der Fokus auf De Wiel, wie er versucht, das Geflecht von Macht und Gier zu durchdringen und fortwährend seine Integrität neu justieren muss, womit der Film seinen eigenen Sog entwickelt. Am Ende führt der Weg De Wiel in den realen Dschungel, um dort zwielichtige Geschäfte zu erledigen, doch zu diesem Zeitpunkt sind die Dinge bereits ausser Kontrolle und die Dunkelheit der Wildnis hat die Herzen längst erreicht.

29.06.2021

4

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Kommentare

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kroete

vor 2 Jahren

Eine unglaublich vielschichtige Geschichte. Alles wird "zwischen den Zeilen" verhandelt. Grossartig!
Wenn CH-Filme öfter diese Intensität und Aussagekraft hätten...


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