The Man Who Sold His Skin Belgien, Zypern, Frankreich, Deutschland, Schweden, Tunesien 2020 – 104min.

Filmkritik

Die eigene Haut retten

Filmkritik: Teresa Vena

Sam lässt sich von einem belgischen Künstler ein Schengen-Visum, das für ihn als syrischen Flüchtling sehr begehrt ist, auf den Rücken tätowieren und verwandelt sich damit in ein «reisefähiges» Kunstwerk. Kaouther Ben Hanias Kunstsatire und politische Parabel beeindruckt durch eine präzise und kompromisslose Inszenierung.

Bevor er verhaftet wird, flüchtet Sam Ali (Yahya Mahayni) aus Syrien in den Libanon. Er hat seiner grossen Liebe Abeer (Dea Liane) versprochen, dass sie bald wieder vereint sein werden. In der Zwischenzeit wird sie aber mit einem Diplomaten verheiratet und folgt diesem nach Brüssel. Als Flüchtling ohne Reisepapiere und Geld scheint es für Sam unmöglich, ihr nach Europa nachzureisen. Impulsiv wie er ist, lässt er sich deswegen auf das zwielichtige Angebot des belgischen Konzeptkünstlers Jeffrey Godefroi (Koen De Bouw) ein, der ihm eines der begehrten Schengen-Visa auf den Rücken tätowieren will. Damit wird er zum lebenden Kunstwerk, kann verzollt und verschifft werden. Endlich kann er Abeer wiedersehen, doch die Kehrseiten dieser Vereinbarung lassen nicht lange auf sich warten.

«The Man Who Sold His Skin» zeigt eine derart zynische Darstellung der Gegenwart, dass man sie gerne als dystopische Fantasie abtun möchte. Doch verarbeitet die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania in ihrer Mischung aus Kunstmarktsatire und politischer Parabel einen Stoff, der gleich mehrfach in reellen Verhältnissen fusst. Dass syrische Flüchtlinge sich nicht frei in Europa bewegen können, ist kein Geheimnis. Indem Sam, der Protagonist der Geschichte, aufhört, Mensch zu sein, sondern zur Ware wird, ändern sich seine Berechtigungen. Als Kunstwerk wird er zum Objekt der Begierde, fortan ist er überall willkommen, man reisst sich förmlich um ihn. Ihm wird erstmalig ein Wert zugesprochen, den man ihm fürs simple Menschensein nicht zugestand.

Präzise, dicht und mit einem schmerzhaft treffenden schwarzen Humor hält der Film unserer Gesellschaft ihre Oberflächlichkeit und Selbstgerechtigkeit vor Augen. Er gibt sich darüber hinaus nur wenig optimistisch, was die Käuflichkeit der Welt betrifft. Wofür und zu welchem Preis verkaufen wir unsere Haut eigentlich? Etwa für eine Idee von Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Elite, die sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen erkaufen kann?

Ben Hania liess sich vom echten belgischen Künstler Wim Delvoye inspirieren, der 2006 den Schweizer Tim Schneider mit einem Rückentattoo zum begehrten Kunstwerk verwandelte. «Tim» wurde damals zu einem stolzen Preis von einem Sammler gekauft und kann als Extrembeispiel für die Absurditäten gelten, in die sich der Kunstmarkt verrennt. Im Film zeigt sich dies insbesondere in den auf den ersten Blick unspektakulären Szenen, in denen Sam im Museum in Brüssel ausgestellt wird. Während sein Gesicht im Dunkeln liegt, wird sein Rücken im Scheinwerferlicht präsentiert – und plötzliche Aufregung, als eine kleine Hautunreinheit daran erinnert, dass dieser tatsächlich einem lebenden Wesen gehört.



11.10.2021

5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Vom Trailer her denkt man sich, absehbar, die Geschichte. Ist es nicht. Man bleibt dran, bis zum Schluss.
Eine harte Parabel, erstaunlich, dass daraus doch noch ein Ausweg sich windet.
Vom Filmischen her: Interessante Spiegelungen, und Spiel mit Unschärfen...


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