Quo Vadis, Aida? Österreich, Bosnien-Herzegowina, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Türkei 2020 – 103min.

Filmkritik

Wider das Vergessen

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Jasmila Žbanić schildert aus der Sicht einer von den UN-Blauhelmen engagierten bosnischen Dolmetscherin das Massaker von Srebrenica. Der in seiner Darstellung unbeschönigte Film ist ebenso ein erschütterndes Trauerspiel wie ein glühendes Mahnmal.

Srebrenica, 1990er-Jahre. Bereits zu Beginn des Bosnienkriegs Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, wird die Stadt im Frühling 1993 als bosnisch-muslimische Enklave zur UN-Schutzzone erklärt. Die Bosnierin Aida ist mit ihrer Familie relativ unbehelligt die unruhige Zeit gekommen. Von Beruf Englischlehrerin arbeitet sie als Dolmetscherin für die aus den Niederlanden und Kanada stammenden Blauhelme.

1995 aber spitzt sich die Lage zu. Unter General Ratko Mladić marschieren serbische Truppen auf Srebrenica zu und dringen allen Vereinbarungen und trotz am 11. Juli in die Stadt ein. Die rund 400 UN-Söldner schauen machtlos zu. Bis zum 19. Juli werden rund 8000 muslimische Männer und männliche Jugendlicheverschleppt und umgebracht.

Jasmila Žbanićs Film setzt ein mitten im Geschehen. Mit der Hektik, welche mit der Einfahrt der Panzer, dem Einmarsch der Soldaten aufkommt. Da sich derweil ein Teil der Bevölkerung im Schutz der Nacht in die umliegenden Wälder abgesetzt hat, flieht die Masse nun Richtung des UN-Camps vor der Stadt. Das aber ist für deren Aufnahme nicht gebaut.

Aida ist als Dolmetscherin bei den Verhandlungen mit Mladić ebenso dabei wie bei internen Besprechungen der Blauhelme. Vor allem aber übersetzt sie deren Gespräche mit den Flüchtenden. Dabei gerät sie immer mehr zwischen die Fronten. Nicht nur, weil sie sowohl unter den Flüchtenden wie unter den serbischen Schergen, Nachbarn und ehemalige Schüler entdeckt und zum Teil haarsträubendes übersetzen muss, sondern auch, weil sie die Ausweglosigkeit der Situation begreift und ihren Mann und ihre zwei Söhne unter den Flüchtenden weiss.

Der Film bleibt nahe bei Aida. Begleitet sie auf ihren Gängen durchs Camp, durch die erschöpfte Menschenmenge, ins Verhandlungszimmer und vermittelt dabei unmittelbar ihre Wut, Frustration und Angst, aber auch ich ihr moralisches Dilemma: Es ist eine schauspielerisch gigantische Leistung, die Jasna Đuričić hier vollbringt.

«Quo vadis, Aida?» beruht lose auf einem Buch von Hasan Nuhanović, der als Übersetzer in der UN-Schutzzone gearbeitet hat. Jasmila Žbanić hat vor Ort gedreht, ihre Inszenierung ist unbeschönigt. Obwohl «Quo vadis, Aida?» die bildliche Darstellung der Erschiessungen auslässt, geht der Film unmittelbar unter die Haut. Als erschütterndes Trauerspiel und zugleich glühendes Mahnmal.

03.08.2021

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Vom Vorfilm her, und vom Vorwissen, fragte ich mich, will ich mir dieses Trauerspiel, diesen Schrecken, antun?
"es ist nicht zum zulugen" sagen wir in der Mundart, wenn etwas sehr schwierig, traumatisch gar ist.
So gefilmt und inszeniert, dass das Schreckliche ankommt, ohne immer gezeigt werden zu müssen.
Das Spiel mit Kinder Augen und Händen am Schluss malt ein Mahnmal, nicht die Augen zu verschliessen.
Und: wie können sich Menschen wieder in die Augen schauen?
Beelendend/berührend: wenn ehemalige NachbarInnen plötzlich auf verschiedenen Seiten der Front sind.
Und ja - hier gab es KEINE (Schindlers) Liste.
In Hollywood wäre wohl eine (Klein)Rettung geglückt.
So ehrlicher und erschütternder...
,Mehr anzeigen


Paul

vor 2 Jahren

Es gab vor dem Massaker 50 Angriffe auf Serbische Dörfer das hätte man erwähnen müssen. Aber sonst ist er Sehenswert und Schockierend wie Europa versagte.


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