CH.FILM

Paul Nizon - Der Nagel im Kopf Schweiz 2020 – 90min.

Filmkritik

Das Leben wagen

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Christoph Kühn spürt in der Begegnung mit dem 90- jährigen Paul Nizon dessen Leben und Befindlichkeit als Schriftsteller nach. Ein vielschichtiges filmisches Porträt, das über seines Protagonisten Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein hinaus führend vom Mut zu leben spricht.

48-jährig brach Paul Nizon auf und liess, man schrieb das Jahr 1977, alles hinter sich. Die Schweiz, in dem es dem 1929 Geborenen zu eng geworden war. Seinen Job als Journalist. Seine Familie. Obwohl Nizon damals bereits auf eine Reihe von Publikationen zurückblickte und für seinen Roman „Stolz“ eben erst den Literaturpreis der Stadt Bremen empfangen hatte, zog er nach Paris. Er wollte sich in der Fremde einer Grossstadt neu erfinden, oder, wie er es formuliert, zu „demjenigen werden, als der er gemeint“ war: ein freier Schriftsteller.

Paris, sagt Paul Nizon in der Begegnung mit Christoph Kühn, sei eine kalte und abweisende Stadt, es sei schwierig, sich hier als Künstler durchzusetzen. Kühn ist zu ihm gereist. Er besucht Nizon in seiner Hinterhof-Wohnung und zeigt ihm zum Auftakt auf einem Laptop ein Interview, das Nizon dem Schweizer Fernsehen 1967 gewährte. Nizon ist amüsiert. Er kommentiert seine Erscheinung als junger Mann. Erinnert sich an seine Zeit als Journalist, seine Familie. Seine damals zurückhaltende Kritik an der Schweiz, sagt er, würde heute noch viel härter ausfallen.

Dann bricht der Film auf. Kühn begleitet Nizon auf Sparziergängen durchs Quartier, Fahrten mit der Metro. Thomas Sarbacher liest im Off Stellen aus Nizons Werken: „Canto“, „Das Jahr der Liebe“, „Im Bauch des Wals“. Die Texte kreisen um des Autors Innen- und Aussenleben, Seelenzustände und Befindlichkeiten. Seine ersten Jahre in Paris. Seine Alltags-Beobachtungen, oft durchs Fenster gemacht. Die Liebe. Und dann sind da noch der eine Clochard und die Tauben, die plötzlich auch durch die Bilder geistern.

Elegant gelingt es Kühn in seinem Film verschiedene Ebenen zu überlagern, Vergangenheit und Gegenwart, Geschriebenes, Erinnertes und laut Gedachtes miteinander in Dialog treten zu lassen. Dabei wird, wie schon in früheren Filmen (Glauser, Bruno Manser – Laki Penan, Nicolas Bouvier, 22 Hospital Street) die vermeintlich dokumentarische Realität immer wieder leichtfüssig fiktional unterwandert.

Paul Nizon: Der Nagel im Kopf* ist dicht und intensiv. Ein faszinierendes Schriftsteller-Porträt, das über sich hinausweisend zum Nachdenken anregt. Nicht nur über persönliche Befindlichkeiten, sondern über des Menschen grundsätzliche Geworfenheit in die Welt und den Mut, den es braucht, ein Leben zu leben.

07.09.2020

4

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