Oeconomia Deutschland 2020 – 89min.

Filmkritik

Eine Frau mit Fragen

Zurich Film Festival
Filmkritik: Zurich Film Festival

Carmen Losmann stellt wahnsinnig wichtigen Männern in Massanzügen und verglasten Büros sehr einfache Fragen. Wie wird Geld produziert? Wie entstehen Schulden? Wie werden Gewinne erwirtschaftet? Was zuerst belächelt wird, kann ihr aber im Verlauf des Films niemand so genau beantworten.

Kritik von Jasmin Bärtschi

In der Doku Oeconomia geht Losmann den Phänomenen unseres Wirtschaftssystems auf die Spur und findet dabei einige Unstimmigkeiten. Unser Geldsystem ist nicht so gut durchdacht wie angenommen und funktioniert in Theorie besser als in der Praxis. Sie interviewt Akteure bei der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bank und bei der Allianz, und stösst oft auf Ratlosigkeit. Die Männer kommen bei ihren Fragen ins Stottern und antworten dann mit Floskeln wie «das ist sehr komplex».

Den Zuschauern wird klar, dass viele selbst keine Ahnung haben. Losmann hat ihre Hausaufgaben besser gemacht als die meisten der Anzugträger. Sie bohrt nach, wenn sie keine ausreichende Antwort bekommt. Oft sitzen ihr mehrere schmerzhafte Sekunden lang Männer in perfekt sitzenden Anzügen gegenüber, ohne eine Antwort auf ihre vermeintlich so simplen Fragen zu finden. Wieso kennt niemand die Antworten zu unserem Geldsystem? Ist unsere neoliberale Politik etwa doch nicht so gut durchdacht wie angenommen?

Damit das hochkomplexe System einem breiten Publikum erklärt werden kann, arbeitet der Film mit Schautafeln, Grafiken und einem simulierten Monopoly-Spiel. So werden die unsichtbaren Geldströme, Kreisläufe und Zusammenhänge sichtbar gemacht. Unterstütz wird das Ganze von wunderschönen Kameraaufnahmen, welche die Imposanz der Finanzgebäude und radikale Ordnung in den Bürogebäuden einfängt. Die verspiegelten Bankentürme und die vielen Glasscheiben sollen Transparenz vermitteln, doch niemand blickt beim Finanzsystem so ganz durch.

Die Regisseurin steht auch oft vor verschlossenen Türen. Viele der VertreterInnen des Banken- und Finanzsektors möchten sich lieber nicht vor laufender Kamera äussern. Sie löst dieses Problem, indem sie die Telefonprotokolle von SchauspielerInnen einsprechen lässt und mit Bildern untermalt. Das gibt dem Ganzen eine Unnahbarkeit und funktioniert in diesem Film sehr gut.

Die Aussagen der Experten zeigen deutlich, dass das System nicht endlos funktionieren wird. Die Ressourcen der Erde werden für unser Profitdenken geopfert. Ein Umdenken ist zwingend nötig, denn die Ressourcen sind nicht endlos. Antworten wie «es funktioniert nur solange es funktioniert» zeigen die Dringlichkeit von Alternativen zum Kapitalismus auf.

Der Film kann zwar der grundsätzlich trockenen Materie geschuldet abschreckend wirken auf Leute, die sich wenig für Wirtschaftsthemen erwärmen können. Oeconomia schafft es aber, sich auf einfach verständliche, interessante und hochaktuelle Art mit dem komplexen Thema auseinanderzusetzen. Und als Zuschauer wird man dazu angeregt, sich auch nach Ende des Films mit den möglichen Alternativen zu beschäftigen: Wer nicht schon vorher den Kapitalismus hinterfragt hat, kommt nach diesem Dokumentarfilm so richtig ins Grübeln.

01.10.2020

4

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